RĂ©my Zaugg und sein Bruder Georges wĂ€hlten deshalb als zukĂŒnftigen Standort fĂŒr das âAuditorium du Juraâ jene unberĂŒhrte jurassische Weide auf einer Anhöhe oberhalb ihres Geburtsorts Courgenay; ganz bewusst beabsichtigten sie hiermit ein âkulturelles Dreieckâ zwischen Ornans, Ronchamp und Courgenay aufzuspannen. Das Auditorium sollte ein bedeutender Ort der Kultur â vor allem der Musik â werden, mit einer Ausstrahlung und Anziehungskraft nicht nur fĂŒr die Schweiz, sondern ĂŒber die Grenzen hinweg. Georges Zaugg kam als Vertreter des Festival du Jura auf uns zu und initiierte so das Projekt, das hauptsĂ€chlich von privaten Sponsorengeldern und allenfalls einem Zustupf des Bundes finanziert werden sollte. Das Projekt wurde aber nie gebaut â trotz schweizweiter Sympathie fĂŒr den marginalen und verarmten Kanton Jura und trotz der âVerfĂŒhrungskraftâ der Architektur, die uns immer wieder bescheinigt wurde. WĂ€hrend das Projekt der Hamburger Elbphilharmonie ab 2003 eine regelrechte Begeisterungswelle in der Bevölkerung und in den Medien auslöste, wurde das kleinere Pendant im Jura durch den unerwarteten Tod von RĂ©my Zaugg ab 2005 erst recht zum aussichtslosen Unterfangen.
Bei unserem Besuch im Jura im Jahre 2004 hat RĂ©my uns die Kirche seines Dorfs gezeigt, das Restaurant im âHĂŽtel de la Gareâ, wo die berĂŒhmte Gilberte de Courgenay im Ersten Weltkrieg die Soldaten an der Front bewirtete, sein Geburtshaus und sein Zimmer, in dem noch immer frĂŒhe figĂŒrliche Malereien von ihm an den WĂ€nden hingen. Er fĂŒhrte uns zu der Wiese, auf welcher das Auditorium als einer der drei Eckpfeiler seines imaginierten kulturellen Dreiecks zu stehen kommen sollte. An der architektonischen Arbeit des Projekts selbst war er allerdings nicht beteiligt.
So ganz alleine, fĂŒr sich in der Landschaft stehend â welche Art von Architektur sollte das sein? Nach zahlreichen gescheiterten Versuchen verstĂ€rkte sich die Idee einer prĂ€zisen geometrischen Form, aufbauend auf dem Dreieck, das sowohl die Idee der kulturellen Vision von Zaugg aufnimmt, als auch das viel banalere Bild jener pyramidenförmigen Triangulationspunkte, die auf zahlreichen jurassischen Berghöhen, etwa auf den Hohen Winden anzutreffen sind. Wir wollten die Pyramide aber nicht als reine und behauptende geometrische Figur stehen lassen, sondern durchdrangen sie mit der inneren Figur einer Kuppel, die auf mehreren ĂŒbereinanderliegenden und zueinander verdrehten Sechsecken aufgebaut ist. Diese aus Sechsecken geformte Kuppel bietet ĂŒber mehrere Geschosse ansteigend Raum fĂŒr das Publikum, das sich dadurch eigentlich unmittelbar ĂŒber die BĂŒhne und das Zentrum des Geschehens neigt. Es erfĂŒllt sich dadurch am radikalsten unsere Absicht, das Publikum und das Geschehen in unmittelbarer, quasi unentrinnbarer Weise zu verbinden, so wie das alle unsere Stadionprojekte und auch die Elbphilharmonie anstreben (das kronleuchterartige Objekt ĂŒber der BĂŒhne der Elbphilharmonie sollte ja ursprĂŒnglich begehbar sein und Platz fĂŒr einige Zuschauer anbieten). Wir wollten die Pyramide mit ihren Ausbuchtungen als Holzkonstruktion konzipieren und mit Holzschindeln oder geschnitztem HolztĂ€fer verkleiden. Das GebĂ€ude sollte von weitem etwas von der Gelassenheit und der SelbstverstĂ€ndlichkeit eines Bauernhauses ausstrahlen â erst beim NĂ€herkommen wĂ€re erkennbar, dass das mĂ€chtige pyramidale Dach ĂŒber einem glĂ€sernen, immateriell wirkenden Sockel schwebte. Und erst beim Hereintreten wĂ€re die in den Boden eingelassene Arena mit den ZuschauerrĂ€ngen und der BĂŒhne zu entdecken. Somit ist das Projekt aus drei völlig unterschiedlichen architektonischen Typologien mit verschiedenem historischem und kulturellem Hintergrund aufgebaut, die wir spontan âTheater Syrakusâ, âMiesâ und âPoelzigâ nannten : Die eingegrabene Topografie fĂŒr die ZuschauerrĂ€nge und die BĂŒhne sollte das Auditorium unmittelbar mit dem jurassischen Kalksteinboden verbinden, so wie es beim griechischen Theater in Syrakus so eindrĂŒcklich erlebbar ist. DarĂŒber schwebt die Kuppel, die mit ihren Ein- und Ausbuchtungen an barocke oder maurische Kuppeln erinnert, vielleicht auch an die stalaktitischen Visionen von Poelzig, jedenfalls an Architekturen, welche stets auch BezĂŒge zu Naturformen zulassen.
Zwischen diesen beiden sehr physischen Typologien wollten wir den Raum öffnen mittels eines ringsum offenen, ebenerdigen Eingangsbereichs, den wir in Anlehnung an die modernistische Sehnsucht einer Aufhebung von Innen und Aussen âMiesâ nannten. Dieser möglichst immateriell wirkende Zwischenraum sollte den Blick ringsum frei geben auf die jurassische Weidelandschaft und auf die weite sich nach Frankreich ausdehnende Ebene der Ajoie.
Herzog & de Meuron, 2015