Herzog & de Meuron Basel Ltd.
Rheinschanze 6
4056 Basel, Switzerland
Email: info@herzogdemeuron.com
Phone: +41 61 385 5757
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Magdeburg, Germany
Project Description available in German
Die Studie über das Neustädter Feld in Magdeburg ist der Versuch einer Auseinandersetzung mit einem Typus von Stadtplanung. Dieser Typus oder diese Eigenart von Stadtplanung wurde seit 1945 in der DDR entwickelt und an verschiedenen Orten im Land realisiert. So sehr dieser Städtebau tatsächlich einen eigenen Typus zu verkörpern scheint, welcher auf standardisierten Gebäudetypen aufbaut, die im ganzen Land zu verschiedenen städtischen Konfigurationen zusammengesetzt wurden, so wenig entstanden dabei typische, urbane Siedlungen, welche den zugrundeliegenden Bautypus vergessen lassen und einen eigenen, unverwechselbaren Charakter zum Ausdruck bringen.
Bei der Studie steht nicht die technische Sanierung von Gebäuden und auch nicht die funktionelle Anpassung der Infrastrukturen an den westlichen Standard der Gegenwart im Vordergrund.
Das Interesse gilt vielmehr der heutigen Stadt Magdeburg als städtebauliches Ganzes, in welchem das Neustädter Feld zu einem spezifischen Ort werden soll: zu einem städtischen Quartier mit einer eigenen städtebaulichen und landschaftsgestalterischen Ausformung. Dabei soll die bauliche Grundstruktur aus DDR-Zeiten weitgehend beibehalten werden, ähnlich wie bei einer Stadtgründung, die sich im Verlauf der Geschichte durch Zubauten und Veränderungen erst richtig entfaltet.
Ein Blick auf den Stadtplan lässt erahnen, dass sich die Stadt Magdeburg nach einem ähnlichen Muster entwickelte wie viele andere europäische Städte:
Man kann erkennen, dass es eine mittelalterliche Stadt am Fluss gab, an einem topografisch und strategisch möglichst vorteilhaften Ort, einer Furt über die Elbe.
Die barocke Wallanlage legte sich als üppiger Zackenkranz schützend um den mittelalterlichen Stadtperimeter.
Im ausgehenden 19.Jh. wurde diese Wallanlage oder zumindest Teile davon zu einer städtischen Parkanlage umgestaltet.
Etwas ausserhalb der mittelalterlichen und barocken Anlage gründete Napoleon per Dekret um 1812 die klassizistische Neue Neustadt mit einem idealen, streng geometrischen Stadtgrundriss. Diese klassizistische Neugründung ist eine Spezialität Magdeburgs und eine Ausnahme unter deutschen Städten.
Die Eisenbahnlinie und der Hauptbahnhof bildeten das Herzstück eines Wachstumsschubs im 19.Jh. mit rasterartig angelegten, dicht bebauten Stadtquartieren.
In den 20er und 30er Jahren entstanden von der Gartenstadtidee inspirierte Wohnsiedlungen, welche den Stadtperimeter beträchtlich erweiterten.
Von allen diesen Stadtteilen sind wegen der Zerstörungen in und nach dem Krieg nur noch Bruchstücke vorhanden, d.h. Reste, welche nur dem historisch geschulten Betrachter Hinweise auf den früheren Stadtgrundriss ermöglichen. Im realen Stadtraum sind diese Stadtteile aber nicht mehr erfahrbar; man erkennt keine eigentlichen Stadtteile mehr, Quartiere, die sich voneinander unterscheiden, wo schmale Gassen oder breite Boulevards, Baumalleen oder Obstgärten unterschiedliche stadt- und landschaftsräumliche Erfahrungen ermöglichen.
Man findet den Bahnhof nicht, man verpasst das Zentrum und fragt sich, wo der Fluss ist. Man kann sich nicht orientieren, weil die Stadträume keine intuitive, aus der Erfahrung mit anderen Städten gewonnene Orientierung zulässt und weil auch keine neue, andersartige, z.B. auf Logik, Symbolik oder wenigstens auf Verkehrseffizienz aufbauende Ordnung an die Stelle der früheren, historisch und stadträumlich gegliederten Konzeption getreten ist. Es ist eine eigentümliche, befremdende, zunächst beinahe unheimliche Leere spürbar, wie ein gebautes Nichts, wie ein Antiraum, paradoxerweise gebaut aus meist grossen Gebäuden.
Es sind aber nicht diese grossen Plattenbauten, welche hauptverantwortlich sind für die Orientierungslosigkeit, sondern die verheerende stadträumliche Konzeption, nach denen die verschiedenen Siedlungen gebaut wurden. Die Konzeption dieser Siedlungen ist entweder aus Unvermögen oder dann bewusst so angelegt, dass der einzelne Mensch seine Orientierung im Raum und sein Gefühl für den Raum verliert und deshalb auch ganz direkt verstanden gar keinen eigenen Standpunkt mehr haben kann.
Einzeln betrachtet haben gewisse Typen der Plattenbauten durchaus ihren Charme, der sich zwar nicht vergleichen lässt mit der Niedlichkeit von Gartensiedlungen, der aber einer grosstädtischen Agglomeration angemessen ist.
Das Neustädter Feld ist ein typisches Beispiel für den Städtebau nach 1945 in Magdeburg und in anderen Städten der früheren DDR. Es ist eine sogenannte Plattensiedlung, weil sie in Grosstafelbauweise aus vorfabrizierten Betonplatten erstellt wurde. Auf einem Rechteck von etwa 700 m x 1100 m entstanden hier in den Jahren 1975 bis 1989 ca. 5000 Wohnungen.
Das Neustädter Feld ist ein solcher Ort, der wie eine gebaute Leere wirkt. Obwohl aus grossen, meist fünfgeschossigen Wohnblöcken gebaut, entsteht kein Gefühl von grosszügiger Weite, sondern von Masstabslosigkeit. Es entstand paradoxerweise trotz all diesen teilweise riesigen und eindrücklichen Gebäuden kein gebauter Raum, sondern ein gebautes Nichts. Dieses Gefühl eines gebauten Nichts entsteht, weil es keine unterschiedlichen Räume gibt, keine Abstufungen zwischen engen und schmalen Durchgängen, Gassen oder Strassen und weiten, offenen Räumen, z.B. einem Platz oder einem grosszügigen Boulevard. An einen solchen Boulevard dachte man zwar, aber die tatsächliche Gestalt der begrünten Ost-West-Achse unterscheidet sich kaum von einer anderen Strasse oder irgendeinem Hinterhof der Siedlung. Der Hinterhof wiederum ist aber gar kein Hinterhof, in dem sich ein eigenes Leben entfalten könnte, irgendein Handwerksbetrieb oder ein Spielplatz, ein von Jugendlichen in Beschlag genommenes Feld für Fussball oder Streetball, ein Gartengrill oder auch nur ein Abstellplatz für irgendwelchen Ramsch.
Wo es keinen Hinterhof gibt, da gibt es eben auch keinen Boulevard, keinen Platz, keine Allee, keine Vorderseite und keine Rückseite.
Die Gebäude und die Gebäudeformen an den äusseren Rändern der Siedlung sind die gleichen wie im Inneren. Man betritt die Siedlung von irgendeiner Seite und steht noch immer draussen – oder etwa doch schon drinnen? Diese Irritation verstärkt sich und führt zur Orientierungslosigkeit; die Gebäude mäandrieren, bilden Hofformen, drehen sich auseinander und ineinander, schlängeln sich kantig und brechen abrupt ab. Wohin weisen die Baukörper? Bilden sie ein Zeichen, verweisen sie auf eine topografische Besonderheit, ist irgendeine Logik oder ein Sinn erkennbar? Das Aufheben von Innen und Aussen kann ein interessantes, architektonisches Ausdrucksmittel sein, welches – auf ein Gebäude beschränkt – grundsätzliche Fragen des Standpunktes und der Wahrnehmung aufzuwerfen hilft. Wird diese Unbestimmtheit auf ein ganzes Stadtquartier und gar darüber hinaus auf die ganze Stadt ausgedehnt, entsteht ein Gefühl von Ohnmacht und Hilflosigkeit angesichts einer derart erschwerten Orientierung.
Betrachtet man die Siedlung von oben, aus der Vogelperspektive, wird die Desorientierung, die man auf der Ebene des Menschen so sehr spürt, erst richtig verständlich:
Die sich ineinanderschlingenden Hofformen, die abgewinkelten Baukörper können in ihrer Gesamtform erkannt werden. Gewisse Gebäudefiguren sind wiederholt eingesetzt – manchmal einfach seitenverkehrt. Weder die Gebäudefiguren selbst, noch deren Duplizierung lassen aber eine eigentliche städtebauliche Absicht erkennen. Falls es dennoch eine solche Absicht gab, so kann es sich nur um eine bewusste Verwirrstrategie gehandelt haben, ähnlich wie beim Labyrinth in der griechischen Sage, aus welchem nur ein Priamos dank Ariadnes Faden herausfinden konnte.
Wie können die offensichtlichen städtebaulichen Mängel der Siedlung behoben werden? Braucht es dazu eine Radikalkur, z.B. einen totalen oder teilweisen Abbruch? Oder ein völlig neues internes Strassensystem? Oder einfach nur neugestaltete Fassaden?
Die Vorschläge in diesem Projekt sind sehr einfach; sie erscheinen so selbstverständlich, beinahe banal zu sein, weil sie einer Beschreibung eines städtischen Quartiers in irgendeiner anderen europäischen Stadt entnommen zu sein scheinen. Und gerade dieses Selbstverständliche und Naheliegende, das wir an einem vertrauten Stadtquartier so schätzen, versuchen wir durch den vorgeschlagenen Katalog von städtebaulichen Massnahmen zu erreichen.
Die Elemente dieser Massnahmen sind die gleichen geblieben, seit es Städte gibt, sie lassen sich mit den Farben auf der Palette des Malers vergleichen oder mit den Noten des Komponisten. Es sind die Strasse, das Haus und der Garten.
Trotz des beschriebenen Gefühls eines städtebaulichen Antiraums in der heutigen Siedlung lassen sich doch einige Besonderheiten und Unebenheiten aufspüren. Diese sind der Ausgangsort für unsere städtebaulichen Vorschläge. Hier fanden wir Ansätze für die notwendigen Veränderungen, welche bestehende Merkmale der Siedlung verstärken können und zu eigentlichen stadträumlichen Merkmalen des zukünftigen Quartiers ausbauen lassen:
Solche Besonderheiten sind die breite Ost-Westachse mit den Turmhäusern, die drei beinahe orthogonal dazu verlaufenden Nord-Süd-Strassen, der Grünstreifen mit den Einfamilienhäusern und die beinahe rechteckige Gesamtform des Neustädter Felds. Diese Merkmale der heutigen Siedlung bilden das Gerüst für das zukünftige Quartier.
Der Rand der Siedlung wird ringsum markiert. Der heutige, unscharfe Übergang zu benachbarten Zonen wird mit zusätzlichen Gebäuden und einer umlaufenden Grünanlage korrigiert. Insbesondere ein Büro-und Gewerbestreifen entlang der Stadtautobahn wird als als verdichteter Quartierrand besonders in Erscheinung treten.
Es entsteht so eine räumliche Begrenzung, der Rand eines städtischen Quartiers, das an andere Quartiere angrenzt und sich von anderen Quartieren durch seine äussere Form unterscheidet. Die rechteckige Gesamtform – in der heutigen Form der Siedlung nur undeutlich erkennbar – wird zu einem ebenso eingängigen wie einfach zu erreichenden Merkmal des Quartiers, welches nun plötzlich in einen Dialog zu treten vermag mit der benachbarten Neuen Neustadt.
Die aussen am Quartierrand erkennbare Rechtwinkligkeit soll nicht bloss ein formaler Einfall sein, der im Innern des Quartiers bereits zu Ende ist. Das vorhandene Strassennetz soll grundsätzlich beibehalten werden; durch geringfügige Manipulation der heute unmotiviert gekrümmten und abgebogenen Nord-Süd verbindenden Strassen entsteht eine strenge, orthogonale Grundstruktur, welche die logische und naheliegende Ergänzung darstellt zu der rechtwinkligen Gesamtform des Quartiers. Ein anders geformtes Strassennetz hätte den Abbruch oder mindestens Teilabbruch der bestehenden Gebäude zur Folge. Die vorgeschlagene strenge Orthogonalität ist der Versuch, dem öffentlichen Raum mit pragmatischen Mitteln ein ebenso eingängiges, einfaches und dennoch unverwechselbares Gepräge zu geben.
Die Ost-Westachse, welche wie ein breiter Boulevard, der ins Niemandsland reicht, angelegt wurde, vermag nicht die wesentlichen städtischen Infrastrukturen eines grossen Quartiers, wie täglicher Einkauf, Restaurants, Schulen und Bankfilialen zu übernehmen. Dazu scheint die Nord-Südachse (die Kritzmannstrasse), die heute schon lebendiger ist und entlang welcher auch die Schulgebäude konzentriert sind, in Zukunft besser geeignet zu sein. Diese Strasse, ebenso wie die Othrichstrasse, sollen mit zusätzlichen Bauten so verdichtet werden, dass eine Durchmischung von städtischen Aktivitäten entstehen kann, welche auch neue Geschäfte und das eine oder andere Restaurant anzuziehen vermag.
Die Ost-Westachse wird zu einem zentralen, öffentlichen Park umgestaltet, dem “Neustädter Park”, welcher eine eindeutige, der Erholung dienende Funktion erhält. Die jetzt dort angesiedelten Läden und Restaurants finden eine weit vielversprechendere Passantenlage entlang der Kritzmannstrasse und der Othrichstrasse.
Herzog & de Meuron, 1994
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