Herzog & de Meuron

DU: Rem Koolhaas, Sie sind anlässlich eines Arbeitsbesuchs zu Herzog & de Meuron nach Basel gekommen. Ihr Rotterdamer Office for Metropolitan Architecture (O.M.A.) entwickelt zusammen mit HdM ein gemeinsames Projekt für ein Hotel am Astor Place in New York. Das Grundstück gehört der Cooper Union, Bauherr ist der amerikanische Hotel-Unternehmer Ian Schrager. Springen die Stararchitekten nun dem Trend zu Superfusionen auf?

Rem Koolhaas: Unser erstes Gespräch über eine mögliche Zusammenarbeit muss etwa fünf Jahre her sein. Es ist also keine sehr neue Idee.

Jacques Herzog: Es sind sechs Jahre her. Als das Projekt mit der Tate Modern entstand, fragtest du mich, warum wir das nicht zusammen machen wollten. Damals war ich schockiert, wir kannten uns ja noch kaum. Schliesslich haben wir beschlossen, vielleicht später einmal etwas zusammen zu entwickeln.

Koolhaas: Auch unsere allererste Begegnung fand hier in Basel statt, das muss 1987 gewesen sein. Jacques kam wütend und verärgert an die Vernissage unserer Ausstellung im Architekturmuseum. Er konnte offensichtlich nicht verstehen, warum sie dort diesen „amerikanischen Mist“ überhaupt zeigten…

Herzog: …nicht wirklich, aber…

Koolhaas: Doch, doch, ich glaube, darum ging’s in der Tat! Aber gleichzeitig war diese Veranstaltung auch der Beginn einer intensiven Kommunikation zwischen uns beiden. Tatsächlich schlug ich 1994 zum ersten Mal eine Zusammenarbeit unserer beiden Büros vor. Ich bewundere HdMs Arbeit unheimlich, und gelegentlich bin ich sogar eifersüchtig auf ihre Fähigkeiten. Wir haben erst einmal ein kreatives Interesse an dieser Kooperation, weil ich hoffe, etwas von HdMs geheimen Fähigkeiten abgucken zu können. Gleichzeitig gibt es eine politische Dimension. Denn die Architekten werden seit den achtziger Jahren schamlos ausgebeutet. Dauernd werden wir in Wettbewerben und Bewerbungsgesprächen gegeneinander ausgespielt. Unsere Kooperation ist in der Welt der Architektur ein politisches Signal – Jacques ist ja auch ein gewiefter Politiker.

Herzog: Wie du.

Koolhaas: Ja, aber bisher hast du jeden Wettbewerb gewonnen, bei dem wir gegeneinander antraten. Das entlarvt dich eindeutig als guten Politiker.

DU: Inwiefern werden Sie als Architekten ausgebeutet?

Koolhaas: Der grösste Missbrauch ist das Wettbewerbssystem. Es ist ein Irrsinn, von Architekten wie uns zu verlangen, uns zu einem unglaublich intensiven Grad von Tiefe und Engagement auf ein Projekt zu verpflichten – und dabei das Einverständnis vorauszusetzen, dass unsere Arbeit mit einer Wahrscheinlichkeit von achtzig Prozent weggeschmissen wird. An einem bestimmten Punkt wird das obszön. Ausserdem erwartet dieses System auch eine bestimmte architektonische Handschrift. Ich finde nichts widerlicher als die Idee, einen Stil repräsentieren zu müssen. Natürlich gibt es Symptome von Ähnlichkeiten und Entsprechungen. Aber letztlich teilen wir das Schicksal mit Schmetterlingen: Unsere Herzen sind von Nadeln durchbohrt. Hier die Signatur von O.M.A., dort diejenige von HdM. Wir kommen einfach nicht mehr weg von dieser Nadel. Deshalb unternehmen wir jetzt einen aggressiven Versuch, jede Art von Taxonomie abzuschütteln.

Herzog: Es gibt noch immer Leute, die glauben, man könne nur entweder auf unserer oder auf Koolhaas’ Seite stehen. Die denken jetzt wahrscheinlich: Wie können die nur so blöd sein, mit Rem zu arbeiten, das ist ja kein wirklicher Architekt, sondern nur ein Journalist. Und die anderen werden sagen: Wie kann der nur mit HdM zusammenarbeiten, mit diesen Kosmetikern? Dass man nicht so über Architektur reden kann – genau das wollen wir kommunizieren. Es gibt nichts, das ich mehr hasse, als festgenagelt zu werden. Das ist wie der Tod. Deswegen haben wir wirklich ein grosses Problem mit Stil-Architekten, die sich auf eine bestimmte Handschrift festlegen lassen. Die ganze Generation vor uns und eigentlich auch unsere eigene Generation werkelt an ihrer Identität herum, statt sich darum zu kümmern, was Architektur wirklich ist.

Koolhaas: Und was die Welt wirklich ist.

DU: Geht es bei Ihrer Kooperation nicht vielmehr darum, lästige Konkurrenten auszuschalten?

Koolhaas: Nicht in erster Linie, denn in gewisser Weise haben wir das ja längst getan. Nein, unsere Zusammenarbeit mit HdM ist ein technisches Manöver, um unsere scheinbar gegebene Identität loszuwerden und neue Erwartungen zuschaffen.

Herzog: Unsere beiden Büros haben genug Auftrage – warum sollten wir Zeit und Energie verschwenden, um gegeneinander zu arbeiten, statt gemeinsam etwas Neues zu versuchen? 1987 bestanden zwischen unseren Standpunkten noch grosse Unterschiede, selbst heute arbeiten wir beide in verschiedenen Welten. Aber gleichzeitig spüre ich deutlich, dass wir uns sehr nahe gekommen sind. Wir waren schon früher von O.M.A.s Arbeit fasziniert, und seither sind hervorragende Arbeiten entstanden wie zum Beispiel das Haus in Bordeaux, das wir kürzlich sahen. Koolhaas ist einer der ganz wenigen interessanten Architekten unserer Epoche. Deswegen können wir mit grosser Wahrscheinlichkeit beide voneinander lernen. Mit etwas Glück entsteht aus unserer Zusammenarbeit mehr als bloss die Addition zweier Projekte.

Koolhaas: Eine weitere Gemeinsamkeit ist die, dass wir beide aus kleinen Ländern stammen. Das hat grosse Bedeutung für unsere Arbeit, weil wir dadurch viel stärker dem internationalen Markt ausgesetzt sind. In diesem Sinne hatten wir immer ein tiefes strategisches Interesse an der Globalisierung. Unsere Situation ist komplex, und schon allein deshalb ist es interessant, Allianzen einzugehen. Historisch sind in der Architektur ja praktisch niemals Allianzen zustande gekommen. Wir haben keine Ahnung, ob das überhaupt funktionieren kann. Es ist ein radikales Experiment.

DU: VerfĂĽgt Ihre Allianz ĂĽber einen Marketing-Aspekt?

Koolhaas: Tatsächlich haben wir uns darüber unterhalten. Dass es in den Vereinigten Staaten eine gewisse Wirkung haben könnte, wenn die beiden stärksten europäischen Büros zusammenspannen, ist offensichtlich.

Herzog: Eine Fluggesellschaft kann die Auswirkungen einer Allianz im Detail vorausberechnen, wir jedoch wissen nicht genau, worauf wir uns einlassen. Ausserdem fusionieren wir ja nicht, sondern spannen für einen vergleichsweise kleinen Auftrag zusammen. Beide Büros arbeiten unabhängig davon selbständig an ihren je dreissig anderen Projekten weiter. Aber es ist nicht ausgeschlossen, dass wir später vielleicht einmal eine gemeinsame Firma gründen. Wir sind total offen, selbst ein Scheitern könnten und wollten wir kommunizieren.

DU: Wie stellen Sie sich die Verzahnung der beiden BĂĽros vor?

Koolhaas: HdM kontrollieren ihre Materialkultur auf unerhörte Weise. Zu Beginn unserer Karriere entwickelten wir diesbezüglich wenig Ambitionen – halbwegs aus Inkompetenz, halbwegs weil es die Budgets unserer Projekte nicht erlaubten. Natürlich haben wir uns in den letzten Jahren weiterentwickelt. Trotzdem bestehen nach wie vor viele Unterschiede in unseren Kulturen, aber eben auch viele echte Affinitäten. Ohne diese Unterschiede und Affinitäten würde unsere Zusammenarbeit kaum funktionieren.

DU: Könnte man sagen, dass der O.M.A.-Einfluss mehr von der städtebaulichen, derjenige von HdM mehr von der architektonischen Seite her wirksam ist?

Herzog und Koolhaas (im Chor): Nein, das glauben wir nicht.

Herzog: Der einzige im jetzigen Stadium der Zusammenarbeit erkennbare Unterschied zwischen uns besteht darin, dass Koolhaas aus einem flachen Land kommt und wir aus einem mit hohen Bergen. Rems städtebauliche Studien sind viel bekannter als unsere, aber wir haben uns seit jeher intensiv mit Städtebau beschäftigt – und das wird zunehmend wichtiger. Es ist nicht so sehr die Stadt als solche, die uns interessiert, sondern der Prozess der Urbanisierung. Wie entsteht eine Stadt? Interessanterweise entwickeln sich Städte auf der ganzen Welt immer wieder anders. Verschiedene Kulturen haben unterschiedliche psychologische Strukturen, die sich im Verhalten der Menschen und in gebauten Mustern abbilden. Aller Globalisierung zum Trotz ist das Denken und das Einbilden viel stärker von unserer kulturellen Herkunft bestimmt, als man das zugeben mochte.

Koolhaas: Worauf ich mich besonders freue, ist eure Kritik an unserer Arbeit. Denn man erhält ja als Architekt sehr wenig intelligente Kritik, das wenigste wird ehrlich hinterfragt. Ich erwarte mehr als nur höfliche Anerkennung, sondern eine echte intellektuelle Auseinandersetzung.

Herzog: Absolut. Wenn man zusammenarbeiten will, kann man mit Kritik nicht zurĂĽckhalten.

DU: Rem Koolhaas hat öffentlich die Hoffnung geäussert, HdM sollten einmal ihre Kontrolle verlieren. Juckt es Sie nicht, Rem Koolhaas, diese Selbstkontrolle jetzt subversiv anzuknabbern?

Koolhaas: Nein, ich hoffe, dass HdM uns etwas über Kontrolle beibringen können. Es geht ja nicht darum, die Kontrolle zu verlieren. Ich habe mich damals aus meiner beobachtenden Perspektive gefragt, wann wohl die Pferde mit HdM durchgehen werden. Aber es sind ja inzwischen ein paar Jahre vergangen, und seither hat sich ihre Arbeit stark entwickelt.

Herzog: Wir fühlten uns von Rems Essay, in dem er das geschrieben hat, überhaupt nicht angegriffen – im Gegenteil: Das war ein ziemlich schlauer Text, der zu verschiedenen Interpretationen angeregt hat. Es ist erstaunlich, wie oft dieser Artikel zitiert wird. Jedermann kennt ihn, weil es offensichtlich für viele interessant ist zu wissen, was Koolhaas über uns sagt. Deshalb ist auch anzunehmen, dass das Resultat unserer Zusammenarbeit sehr genau angeschaut werden wird – die Leute brennen darauf, das zu sehen.

Koolhaas: Sie warten darauf, enttäuscht zu werden, ja.

DU: Sie beide sind also fest entschlossen, gesicherte Pfade zu verlassen?

Koolhaas: Bei unserer gegenwärtigen Grösse und Reputation arbeiten wir immer für mehr oder weniger kultivierte Bauherren. Aber es gibt viel Arbeit, die für uns absolut unerreichbar ist, obschon sie uns unheimlich interessieren würde – aus rein architektonischen Gründen. Zum Beispiel waren wir beide interessiert an richtig dummen, richtig grossen Dingen. Aber als Architekt ist man immer abhängig von einer zufälligen Folge von Aufträgen, die an einen herangetragen werden. Dass man uns für andere Projekte anfragen würde, ist in unserer gegenwärtigen Konstellation einfach undenkbar. Deshalb versuchen wir, eine andere Art von Glaubwürdigkeit zu erhalten, um endlich die Chance zu bekommen, ein wirklich dummes, wirklich grosses Projekt irgendwo an einem unmöglichen Platz auf der Welt realisieren zu können. Das würde uns Riesenspass machen.

Herzog: An so etwas haben wir bisher nicht gedacht – aber es würde uns bestimmt reizen, einmal so etwas Grosses anzugehen und zu versuchen, das möglichst neu anzupacken, damit ein solches Riesenprojekt überhaupt eine interessante Qualität entwickeln kann. Man hat grosse Flughäfen an einzelne Büros wie Norman Foster und Renzo Piano vergeben. Aber es mag ja irgendwo einen Auftraggeber stimulieren, wenn er sieht, dass auch Allianzen wie die unserige möglich sind.

DU: Nun ja, statt eines grossen, dummen Projektes planen Sie jetzt zusammen ein kultiviertes Hotel an einem prominenten, hĂĽbschen Ort in Manhattan.

Herzog: Das ist Rems Widerspruch. Er denkt immer an die grossen Dinge, aber er liebt die kleinen und macht sie perfekt wie zum Beispiel sein Haus in Bordeaux. Doch dieses Paradox tragen wir alle mit uns herum. Ich könnte mir tatsächlich vorstellen, irgendwo in der WĂĽste von Las Vegas ein Extra-Large-Projekt zu realisieren, dem wir vielleicht nur die äussere, grosse Form geben und uns dann lediglich um ein paar winzige Details kĂĽmmern, die wir aber perfekt ausgestalten. Solche Dinge wurden noch nie ausprobiert, sind aber ein wichtiges Arbeitsgebiet fĂĽr Architekten, um der Vorherrschaft der anonymen Architektur etwas entgegenzuhalten. Man könnte das vergleichen mit einer Casual Line in der Mode gegenĂĽber der Haute Couture. Wir machen uns jetzt bereit fĂĽr das billigere Label, aber paradoxerweise wird nun unser gemeinsames Projekt in New York eine Art Hyper-Haute-Couture.