Herzog & de Meuron

Très difficile

Das Architekturbüro Herzog & de Meuron feiert weltweit Erfolge. Ausgerechnet um die Basler Projekte aber gab es jüngst einigen Wirbel: Die Messehalle und der Roche-Turm in Basel werden wegen ihrer städtebaulichen Dominanz kritisiert. Über das Bauen im eigenen Land und vieles mehr sprach Ulf Meyer mit Jacques Herzog im Juni 2013 in Basel.

NZZ: Herr Herzog, mit der Uhren- und Schmuckmesse wurde die neue Messehalle, ihr Opus Magnum in ihrer Heimatstadt Basel, eingeweiht. Nun kann sich jeder ein eigenes Urteil ĂĽber dieses umstrittene Projekt bilden.

Jacques Herzog (JH): Ja, dieses vor der Realisierung von vielen kritisierte Projekt hat jetzt breite Zustimmung erlangt und begeistert die Leute. Die enorme Baumasse unterzubringen, war eine unserer bisher schwierigsten Aufgaben, viel schwieriger als der Entwurf irgend eines kleinen Kabinettstücks im geschützten Raum. Le Corbusier benannte einst vier Projekt-Kategorien: „facile“, „tres difficile“, “très facile, practique, combinable“ und „très genereux“. Die schwierigste Aufgabe ist es, ein kommerzielles Projekt dieser Ausmasse und mit solch einseitiger Programmierung wie die Messe zu entwerfen. Das sind normalerweise einfach grosse Kisten. Wir haben zunächst viel Gegenwind und Kritik geerntet, aber jetzt ist die Bevölkerung von dem Gebäude sehr angetan. Für Schweizer Verhältnisse ist das Volumen der Halle gigantisch. In der Schweiz ist nun ein Massstabswechsel angesagt, denn ncht nur im Kanton Baselstadt ist das Territorium sehr knapp. Beim Neubau der Messehalle ist dennoch ein Zugewinn entstanden: ein gefasster Platz unter dem Gebäude. Das ist wichtig, insbesondere auch für die Akzeptanz der weiteren Grossprojekte wie der vielen neuen Hochhäuser, die derzeit in Basel geplant sind.

NZZ: Bei meinem nächsten Basel-Besuch werde ich das 180 m hohe Roche-Hochhaus über der Stadt thronen sehen. Es wird nicht nur das höchste Haus der Stadt, sondern der gesamten Schweiz sein.

JH: Aber dieser Höhenrekord ist nicht unser Antrieb. Das Gebiet des Kantons Basel ist extrem begrenzt und die Gelände der Konzernzentralen wie Novartis, Roche und Syngenta sind es deshalb auch. Deshalb sind diese Firmen froh, wenn sie auf ihrem Gebiet maximale Flächen anbieten können. Ausserdem ist es sinnvoll, die Arbeitsplätze zu konzentrieren. Die Gelände der Messe und der Pharmakonzerne wirken wie „eine globale Stadt in der lokalen Stadt“. Das Nebeneinander von lokalem und globalem Leben ist sehr reizvoll und eine der grossen Qualitäten von Städten wie Basel oder Zürich. Bei der Messe Basel war unsere grösste Leistung nicht die Fassadengestaltung, sondern die Schaffung eines Ortes, der in die Stadt zurückwirkt. Grossprojekte können Städte lähmen oder beflügeln. Bei der Tate Modern in London ist es uns im Verbund mit Nick Serota gelungen, aus der alten Turbinenhalle einen Ort zu machen, den es so weder in London noch sonstwo gab und der Institution Tate damit zu einer neuen Identität zu verhelfen. Die Menschen liebten und belebten diesen neuen Ort von Beginn weg. Für alle Projekte, aber insbesondere für die grossen Projekte in einer Stadt ist es entscheidend, wie die Menschen damit umgehen. Entsteht auch für sie ein “Mehrwert” ? Hier sind Architekten erforderlich, die konzeptionell und städtebaulich denken können, und nicht solche, die nur Betriebsabläufe optimieren.

NZZ: In Zukunft wird es in Basel drei oder mehr Hochhaus-Cluster geben. Gibt es jemanden, der –über die einzelnen Entwicklungs-Inseln hinausgehend – die Stadt in ihrer Gesamtheit plant, denkt und entwirft?

JH: Es gibt ein Hochhauskonzept, welches entsprechende Orte definiert. Natürlich gibt es Orte in der Stadt, wo das eher akzeptiert wird als an anderen. Die Altstadt im Geviert Peters-graben/Hebelstrasse, wo das Universitätsspital steht, ist sicher ein Ort, wo Hochhäuser ein unpassendes, städteplanerisches Mittel sind. Nichtsdestotrotz gab die Jury unter Vorsitz des obersten Stadtplaners in Basel einem solchen Projekt für die Neuplanung des Gevierts kürzlich den Zuschlag! Das ist schwer nachvollziehbar und führte logischerweise schon bald zu Widerstand….

NZZ: …obwohl dieser Turm nur ca. 60 m hoch werden soll und nicht 180 m wie ihrer….

JH: Der Roche Turm entsteht ja auch ganz woanders. Wie schon erwähnt, stehen in unseren Städten städtebauliche Verdichtungen an und auch massstäbliche Brüche mit der bestehenden Stadt. Dazu braucht es auch Hochhäuser, aber an präzis ausgewählten Orten in der Stadt, wie Akupunktur am menschlichen Körper. Wir sind für eine Pluralität von Typologien, aber auch zunehmend für strengere Regeln im Städtebau, denn die Städte, die uns allen gefallen, wurden alle nach strengen Regeln gebaut.

NZZ: Welche Städte sind denn das?

JH: Alle Städte bis zum Ausbruch der Moderne. Seither wurde kein vernünftiges Quartier mehr neu gebaut, in keiner Stadt der Welt. Ein einfaches Fischerdorf kann schön sein, wenn es nur schon eine einheitliche Bauhöhe, Farbpalette und Proportionen hat.

NZZ: Orte können schön sein, ohne „Architektur“.

JH: Absolut! Aber heute ist eine große Anstrengung nötig, das vermeintlich Selbstverständliche und Vernünftige hinzukriegen. Die Ökonomie hat sich verändert und die erstrebte Kleinteiligkeit im Handel beispielsweise ist verlorengegangen.

NZZ: Das Automobil hat einen neuen MaĂźstab eingefĂĽhrt.

JH: Ja, und auch die modernen Handels- und Logistikzentren. Diese Entwicklung können wir nicht zurückdrehen.

NZZ: Gibt es Grenzen des Wachstums fĂĽr Ihr BĂĽro? Sie haben bereits alles erreicht, inklusive Pritzker-Preis und Praemium Imperiale des Kaisers von Japan!

JH: Wie auch bei den Hochhäusern geht es uns nicht um Größe oder Quantität allein. Pierre de Meuron und ich werden auch nicht jünger. Architekten können zwar auch mit 80 oder 90 Jahren noch aktiv sein, wenn es die Gesundheit erlaubt, aber dennoch strukturieren wir unser Büro ständig um und die talentiertesten jungen Leute bei uns wurden oder werden zu Partnern mit Anteilen an der Firma.

NZZ: Welche Ziele haben Sie noch?

JH: Keine Ziele im Sinne von Projekten, aber Pierre und ich haben das Ziel, immer besser zu arbeiten, noch bessere, angemessene Lösungen für schwierige Orte zu finden. Es ist ein Glück, mit aussergewöhnlichen Menschen zusammenzuarbeiten – bei uns intern, aber natürlich auch mit guten Bauherren und einem interessanten Programm. Anders als in der bildenden Kunst kann und muss man sich bei Architekturprojekten mit anderen reiben und sich für eine Lösung engagieren. Unsere besten Projekte sind die, bei denen die Bauherrenschaft stark präsent und involviert war. In einem Prozess, aus dem gute Architektur hervorgehen soll, wird sich immer die intelligentere Lösung durchsetzen, egal, wer sie vorgeschlagen hat. Es geht nicht nur um funktionelle, sondern um ganzheitliche Lösungen. Architektur ist eine archaische Disziplin der Ganzheitlichkeit. Solange das so ist, werden wir gerne weiterarbeiten. Es fehlt derzeit aber leider auch an Hochschulen, die Architektur als „archaische Disziplin der Ganzheitlichkeit“ vermitteln: Auch wenn viel von transdisziplinärer Arbeit gesprochen wird, muss schon die Architektur allein Menschen auf allen Ebenen ansprechen: Alle Sinne müssen zusammenwirken. Das Betriebliche muss funktionieren, – das ist immer der einfachste Part. -, aber das allein macht noch keine gute Architektur aus.

NZZ: Mit dem ETH Studio in Basel ist ihnen ein neues Curriculum gelungen?

JH: Es war ein Versuch, ausserhalb des Hönggerbergs in Zürich, auf urbanistischer Ebene solch ein neues Denken zu praktizieren. Zwei Jahre lang werden wir dort noch tätig sein.

NZZ: Welche jĂĽngeren Architektenkollegen und KĂĽnstler inspirieren Sie?

JH: Japan hat eine interessante, lebendige Szene, die sich aus den konkreten Bedingungen der engen, japanischen Urbanität heraus entwickelt hat. Wir haben Freundschaften mit jüngeren KollegInnen im In -und Ausland wie z.B Tatiana Bilbao in Mexico City, die sich wiederum auf junge Architekten hier ausdehnen, so dass neue Netzwerke entstehen z.B mit Christ & Gantenbein oder HFF. Die interessantesten “jüngeren” Positionenin der Schweiz sind meiner Meinung nach Buchner/Bründler, Kerez, Olgiati und Christ & Gantenbein. Olgiati hatte an der letzten Biennale eine der überzeugendsten Präsentationen und ist ein aneckender Querdenker, was uns gefällt und auch nötig ist, um aus einem kleinen, satten Land wie die Schweiz heraus zu wirken.

NZZ: Gibt es heute einen KĂĽnstler, der sie so stark inspirieren kann wie einst Remy Zaugg?

JH: Die Künstler, mit denen wir zusammenarbeiteten prägen uns bis heute. Vor allem Rémy Zaugg ist bei Pierre und mir – aber auch bei Christine Binswanger, die bei uns anfing als unsere Zusammenarbeit mit Rémy am intensivsten war – sehr präsent und “lebendig”. Mit Rémy Zaugg gingen und gehen wir also einen langen Weg gemeinsam. Heute dürfen wir mit Thomas Ruff und Andreas Gursky zusammenarbeiten – anders, ganz klar, ohne viel eigenes Zutun, denn unsere Gebäude stehen diesen Fotografen Modell. Künstler wie Ruf oder Gursky sehen unsere Arbeit anders als wir. Ihre Sicht werfen sie auf uns zurück und geben uns so eine neue Perspektive. Das ist wiederum ein Zaugg’scher Gedanke: Wahrnehmung als kreativer Akt. Das gilt für jeden, nicht nur für den Autor eines Kunstwerks. Das Herausfordern der anderen Wahrnehmung ist uns deshalb ein ernstes Anliegen. Das ist eine künstlerische Strategie, die wir auf Architektur übertrugen und die gewiss unsere Arbeit seit jeher prägte. Ein anderer Künstler, von dem wir viel lernten ist Ai Weiwei. Wir arbeiten schon seit zehn Jahren zusammen, zuletzt beim Serpentine Pavillon in London und demnächst bei einem grossen Ausstellungsprojekt in New York.

NZZ: Von den vier genannten Künstlern ist Ai Weiwei der einzige, der selber Architektur entwirft – wenn auch als sehr talentierter Laie.

JH: Er ist der begabteste KĂĽnstler, der zugleich auch Architektur entwirft. Er denkt sehr konzeptuell und radikal, so wie wir das lieben!

NZZ: Gibt es in einer alternden Gesellschaft eine General-Opposition gegen grosse Projekte, sogar gegen Veränderung per se? Die drei Grossprojekte in Deutschland, der neue Hauptbahnhof Stuttgart, der Flughafen in Berlin und die Elbphilharmonie Hamburg sind alle skandalumwittert und ewig verzögert und verteuert.

JH: Die Elbphilharmonie wird nicht scheitern, sondern zu einem guten Ende kommen. Den angestrebten Mehrwert in Hamburg zu erreichen, war jedoch sehr mühsam. Bei allen drei Projekten ist der Staat der Bauherr. Eine demokratisch gewählte Regierung ist aber nicht unmittelbar dazu gemacht, Bauherr zu sein. Diese Rolle wird deshalb meist delegiert an eine Bauherrenvertretung. Das daraus entstehende Vertragsgeflecht ist oft die Wurzel des Übels.

NZZ: Es liegt also mehr an Prozessen und Institutionen als an Inhalten? Gibt es in einer saturierten Gesellschaft eine generelle Veränderungsscheu?

JH: Zu den Projekten in Stuttgart und Berlin kann ich leider nichts sagen, aber im Fall der Elbphilharmonie hat es an Akzeptanz in der Bevölkerung bis heute nie gemangelt. Die Diskussion um die Akzeptanz von Projekten, ihre Morphologie und Typologie, sollte möglichst früh geklärt werden, um städtebauliche Irrwege zu vermeiden, wie wir das derzeit beim Klinikum Basel erleben.

NZZ: Aber die Auslobung und das Baurecht liessen die Lösung, die sie kritisieren, zu.

JH: Ja, weil dieses “Zulassen” ja nicht heisst, dass man es auch tatsächlich in einem Projekt umsetzen soll. Bei solch heiklen, städtebaulichen Orten gilt es auch andere Sensorien zu aktivieren, um Befindlichkeiten von Bevölkerung und Politik zu antizipieren. Bereits der 70m hohe Turm des neuen Biozentrums, der sich ja um einiges weiter weg von der Altstadt befindet, wurde vom Präsidenten der Raumplanungskommission als “knapp tolerierbar” bezeichnet…! In der Architektur und im Städtebau kann man nicht lügen. Die stadträumlichen, sozialen und ökologischen Folgen müssen klar kommuniziert werden, um Mehrheiten zu gewinnen.

NZZ: Bauen Sie mit dem Dreispitz-Archiv in Basel derzeit ihr eigenes Museum?

JH: Museum? Nein…zunächst ist der Neubau ein grosses Archiv für unsere Pläne, Modelle und die vielen Kunstwerke von den befreundeten oben erwähnten Künstlern. Wie zugänglich das Haus sein wird, müssen wir sehen.

NZZ: Haben Sie mit dem Schaulager nicht selber vorgemacht, wie man eine Sammlung „halb-öffentlich“ machen kann?

JH: Ja, aber das Schaulager ist eine Weltinstitution und wir sind nur ein ArchitekturbĂĽro.

NZZ: Wird Ihnen manchmal schwindelig angesichts ihres eigenen Erfolgs? Bei Projekten in aller Welt und fast vierhundert Mitarbeitern können Sie die Namen ihrer Mitarbeiter nicht mehr kennen und verbringen vermutlich mehr Zeit im Flugzeug als auf der Erde?

JH: Die Mehrheit unserer Mitarbeiter ist deshalb in Basel konzentriert und andere Bürostandorte eröffnen wir nur, wenn nötig. Aber die Frage, ob wir ewig so groß sein wollen, stellt sich tatsächlich. Derzeit erfordern 40 Projekte gleichzeitig unsere ganze Energie und Aufmerksamkeit. Wir lehnen deshalb manchmal Projekte ab, die uns überfordern würden.

NZZ: Was hat sich durch die Verleihung des Pritzker-Preis in ihrem Leben verändert?

JH: Jeder Architekt will diesen Preis bekommen. Grosse Preise erhöhen die Sichtbarkeit und die Attraktivität und verschaffen manchmal gar Zugang zu neuen Kundenkreisen. Aber Preise helfen nur insofern die Qualität der Arbeit stimmt. Alles andere ist Dekor.

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