Herzog & de Meuron

Bernhard Bürgi: Ganz faktisch kann man festhalten, dass ihr in letzter Zeit viel mehr Bauvorhaben realisiert; früher blieben verschiedene Projekte auf dem Papier, und damit fielen die Konkretisierungsphasen mit so und so vielen Kompromissen und spezifischen Schwierigkeiten weg. Wie siehst Du heute die Spannung zwischen der Imagination, der kreativen Wurzelsituation von Architektur, und der realen Verwirklichung?

Jacques Herzog: Ich verstehe Deine Frage auf zwei verschiedenen Ebenen. Einerseits so, dass wir, vor der Tatsache, unsere Projekte nun ausführen zu können, zwangsläufig einen Abbau betreiben an diesem kreativen Potential, das wir uns über Jahre erarbeitet haben. Dass dann eine Art Manko entsteht, weil wir in kurzer Zeit viele Projekte ausführen müssen, absorbiert werden von Dingen, mit denen wir früher nicht konfrontiert wurden, aufgerieben werden, wenn wir uns nicht genügend gut organisieren und auf die veränderte Situation einstellen. Andererseits erleben wir diese neue Situation aber auch als Befreiung, weil es endlich möglich ist, diese Gedanken, die wir uns erarbeitet haben, an den Möglichkeiten des Bauplatzes zu messen, sie real sichtbar, öffentlich werden zu lassen und unser kreatives Potential nachziehen, ausdehnen zu können.

B.B.: Was man allgemein bemerken kann, ist, dass sich Eure Architektur sehr stark dadurch ausgezeichnet hat, dass ihr nicht eine normierte Sprache einer spezifischen Örtlichkeit aufgezwungen habt, sondern dass Ihr Eure Projekte sehr stark auf topografische, kulturelle und andere Gegebenheiten bezieht, das heisst spezifisch und persönlich auf bestimmte Auftragssituationen reagiert. Es waren teilweise auch kleinere Aufträge, ein Wohnhaus für einen Kunstsammler oder ein Gartenpavillon für ein Hotel; heute steht Ihr vor teilweise ganz anders gelagerten Aufgaben: größere Bauten in viel urbaneren Kontexten. In diesem Sinne gibt es eher intimere Bauvorhaben und diese Grossbauten. Siehst Du bestimmte Hauptrichtungen oder Gruppierungen in Eurem Schaffen, oder beurteilst Du letztlich jedes Bauwerk als isolierte Tatsache?

J.H.: Bis vor kurzem habe ich jeden Bau als einzelne Aufgabe angesehen und ihn auch so behandelt. Aber wenn ich unsere Arbeit über die Jahre hinweg betrachte und auch in die Zukunft blicke, verliert sich diese Sicht auf einzelne Projekte zugunsten von Projektgruppen, in denen gewisse Themen immer wieder auftauchen. Ich sehe es auch so, dass es parallele Möglichkeiten gibt, um ein Gebäude zu entwickeln: also parallele, gleichzeitig verfolgte Konstruktionsmöglichkeiten. Konstruktion nicht in einem realen, sondern in einem übertragenen Sinn: Wie entwickle ich ein Haus. Heute wird mir klar, daß schon in Projekten der Anfangszeit diese Tendenzen angelegt waren. Es gibt also einerseits verschiedene Hauptrichtungen und darin enthalten dann eben die Möglichkeit, sich mit diesen Systemen an den jeweiligen Orten ganz spezifisch zu verhalten.

B.B.: Ergeben sich aus den grundlegenden Voraussetzungen Charakterisierungen in Gruppen, dass z.B. die Bauten in urbanen Zusammenhängen sich absetzen von speziellen Bausituationen wie etwa das Projekt für eine orthodoxe Kirche in Zürich oder das Lagerhaus in Laufen? Wie würdest Du überhaupt die Grundtendenzen charakterisieren, von denen Du gesprochen hast?

J.H.: Ich denke, dass diese nicht unterschieden werden können nach ihrer Eignung für urbane oder weniger urbane Situationen. Als Beispiel fallen mir die zwei Projekte des Steinhauses in Tavole/Italien einerseits und des Bürogebäudes Elsässertor andererseits ein. Das eine liegt in einer abgeschiedenen, ländlichen Gegend, 10 km vom Mittelmeer entfernt, das andere in einem dichten städtischen Quartier beim französischen Bahnhof in Basel. Diese beiden Projekte sind miteinander verwandt bezüglich ihrer strukturellen Idee, bezüglich ihrer Entwicklungslinien. Und dennoch finden sie an völlig verschiedenen Standorten schließlich zu ihrer eigentlichen städtebaulichen Identität.

B.B.: Wie siehst Du nun diesen Zusammenhang ganz konkret zwischen diesem Steinhaus und einem Projekt wie dem Elsässertor?

J.H.: Das Elsässertor-Projekt entsteht aus einem seriellen Prinzip, einer repetitiven Anordnung von Stützen und Balken. Als solches ist es in sämtlichen Richtungen endlos ausdehnbar; es folgt einer inneren Gesetzmäßigkeit, vergleichbar dem räumlichen Gitter einer Kristallstruktur. Die Begrenzung zur äußeren Form – die Höhe, die Länge, die Breite des Gebäudes, die großen Öffnungen für den Lichthof – all diese formalen Entscheide sind nur eine Begrenzung des Kristallgitters: Es sind Ausnahmen einer Regel, Unterbrechungen einer prinzipiell fortlaufenden, sich endlos ausdehnenden Ordnung. Die äußere Form des Gebäudes wird durch städtebauliche, architektonische und andere Überlegungen geprägt werden; die im Innern angelegte „Kristallstruktur“ des Gebäudes wird jedoch immer gegenwärtig sein.

Man könnte das vergleichen mit der äußeren Form von Bergen, die durch das Wetter und die Vegetation sichtbar geprägt sind, aber trotzdem ihre innere mineralogische Struktur erkennen lassen: ein Berg aus Granitgestein wird immer eine andere Form annehmen als ein Berg aus Kalkstein oder einem metamorphen Gestein.

Das Haus in Tavole baut auf einer Gitterstruktur aus ortgegossenen Betonbalken auf; ein Teil dieser Gitterstruktur ist aufgefüllt mit Natursteinen, die der Maurer in der Umgebung zusammengelesen hat. Man kann diese Architektur sicher verschieden interpretieren; tatsächlich verwenden wir hier jedoch erstmals dieses serielle Prinzip, diese „bedeutungsfreie“ Struktur und erreichen die „Bedeutung“, die spezifische Eignung für den Ort durch die Begrenzung dieser Struktur und durch ihre Verkleidung oder, in diesem Falle, ihre Auffüllung.

B.B.: Kannst Du näher eingehen auf diese Grundthemen, diese verschiedenen Entwicklungslinien in Eurer Arbeit; nebst dem geschilderten seriellen Prinzip?

J.H.: Es ist sehr schwierig, unsere eigene Arbeit daraufhin zu analysieren. Es ist aber bestimmt so, daß wir seit Jahren parallel Projekte entwickeln, die ganz unterschiedlich angelegt sind. Ausser dem Elsässertor, das eher zu dieser Kategorie der seriellen Ordnung gehört, beispielsweise das Projekt für eine orthodoxe Kirche in Zürich, das gegen aussen wie ein einziger geschlossener Körper wirkt, tatsächlich jedoch wie ein Konglomerat aus verschiedenen, genau definierten Einheiten aufgebaut ist. Auch das Schwarz-Park-Projekt gehört zu dieser Kategorie der Konglomerate, wo sich bezüglich Material, Konstruktion und Funktion verschiedenartige „Gebäudeklumpen“ zu einer Gesamtfigur verbinden.

Zu einer anderen Kategorie gehört das Projekt der Helvetia-Versicherung in St. Gallen, das eher einer Komposition in einem traditionellen Sinne entspricht. Dieses letztere Prinzip der Komposition ist bei uns zwar selten, aber im Falle von St. Gallen ergab sich genau daraus die Möglichkeit, die bestehenden Gebäude einzubeziehen und durch den Anbau der neueren Teile ihre heutige sinnlose Anordnung zu korrigieren. Mit diesen unterschiedlichen Prinzipien, eine Architektur zu entwickeln, haben wir verschiedene strategische Möglichkeiten, uns an einem Ort auszudrücken, ohne stets die ganze Architektur neu zu erfinden, aber auch ohne uns zu verbergen hinter dem immer gleichen persönlichen Stil.

B.B.: In verschiedenen Vorträgen oder Texten hast Du immer wieder den geistig-immateriellen Wert der Architektur betont, ebenso eine Autonomie der Architektur im Sinne von skulpturalen Lösungen, und Du beschäftigst Dich intensiv mit bildender Kunst. Ihr arbeitet für bestimmte Projekte auch mit bildenden Künstlern zusammen, sei das mit Helmut Federle für eine Wohnsiedlung in Wien oder mit Rémy Zaugg für ein Universitätsprojekt in Dijon. Auf der anderen Seite aber sind gerade bei bestimmten Grossprojekten funktionale Überlegungen sehr wesentlich, und diese Vielzahl von Sachfragen kontrastiert sicherlich die von Euch betonten geistig-immateriellen Aspekte, die ja auch gewisse utopische Forderungen an die Architektur einschließen, an eine auratische Präsenz appellieren. Dieses Wechselspiel von künstlerischer Autonomie und Zweckgebundenheit scheint mir sehr problematisch zu sein, aber auf der anderen Seite auch sehr faszinierend. Die künstlerischen Fragestellungen der Architektur gehen ja im allgemeinen Baugetriebe ziemlich unter.

J.H.: Ich glaube, Du berührst zwei Fragenkomplexe, den scheinbaren Widerspruch zwischen künstlerischem Anliegen und funktioneller Zweckgebundenheit und weiter die Frage der Zusammenarbeit mit Künstlern. Dieser von Dir angesprochene Widerspruch erscheint uns immer weniger widersprüchlich, und zwar deshalb, weil gerade die Zweckgebundenheit der Architektur etwas ermöglicht, was du mit „auratischer Präsenz“ umschreibst. Diese entsteht überhaupt erst dadurch, dass auf Architektur schlicht nicht verzichtet werden kann; sie beruht sozusagen auf dem Gebrauchscharakter der Architektur. Das Unverzichtbare, Funktionsgebundene ist gerade das Interessante daran. Das Geistig-Immaterielle verstehe ich nicht als etwas Abgehobenes wie eine Aura, sondern als etwas Gedankliches, das in der Arbeit und in dem Produkt selbst drinsteckt. Die Einzelteile, die die Architektur ausmachen, müssen sich auf einer gedanklichen Ebene treffen oder zu einem gedanklichen Raum verdichten, welcher sich dann bei der Wahrnehmung des Benutzers oder Betrachters als Vielzahl und Summe von Annäherungsmöglichkeiten öffnet. Und ich glaube, je mehr Überlegungen in einem Projekt in kohärenter Weise verbunden sind, ohne all diese formalistischen und überflüssigen Detailspielereien, desto stärker kann diese Ausstrahlung von Architektur entstehen. Ich glaube auch, dass das immer schon so war. Die Zweckgebundenheit steht der Architektur nicht im Wege, im Gegenteil manchmal bin ich sogar froh darüber, denn sie gibt uns eine Einstiegsmöglichkeit in ein Projekt. Dies scheint mir ein Vorteil zu sein gegenüber einem Maler, der vor der leeren Leinwand steht und sich die Rahmenbedingungen seiner Arbeit selbst erarbeiten muss; auch wenn man die Zweckgebundenheit und die notwendige Materialität der Architektur durchaus vergleichen könnte mit der Voraussetzung von Keilrahmen, Farbe und Leinwand. Uns hat sie nie eingeengt, diese funktionale und materielle Seite, sondern im Gegenteil glauben wir, dass eine geistige Situation sehr eng mit ihr verbunden ist, ja sogar erst durch diese Materialisierung entsteht und sichtbar wird. Im Zusammenspiel entwickelt sich das Interessante; ich glaube nicht, dass es eine gute Architektur gibt, die nicht funktionell oder nicht bis zu einem gewissen Grad sogar funktionalistisch ist oder die ihre materielle oder konstruktive Tatsache negiert.

B.B.: Aber was war Eure spezifische Motivation, so eindeutig bildende Künstler in Eure Arbeit miteinzubeziehen? Ich könnte es so verstehen, dass in der Produktivität der vielen Aufträge die Künstler mit ihrer autonomeren Stellung im Prinzip diese künstlerische Dimension der Architektur, dieses Zielen auf eine Kernsituation wahren, dass der Dialog mit ihnen dies gerade schärft. Es geht ja nicht bloß darum, irgendwelche Farbkonzepte etc. von ihnen entwickeln zu lassen, ich sehe das in einem tiefergreifenden Zusammenhang. Oder wie siehst Du das?

J.H.: Die Geschichte dieser beiden Zusammenarbeiten ist sehr verschieden; mit beiden Künstlern verbindet uns allerdings eine jahrelange freundschaftliche Beziehung, von der wir lernen konnten, ohne daß wir je ein gemeinsames Projekt gemacht hätten.

Helmut Federle ist im Wiener Projekt relativ spät erst dazugekommen, als wir nämlich merkten, dass die Farbe in unserer Vorstellung der Hausfassaden fast vollständig verschwunden war und dadurch plötzlich eine ganz starke Bedeutung, ein starkes Gewicht erhielt – wie ein eigenes Material. Dies war für uns der Moment, in dem ein Künstler, der in so spezifischer und ausschliesslicher Weise mit Farbe arbeitet wie Helmut, unerlässlich wurde. Es war einfach selbstverständlich, ihn einzubeziehen, und er tat es auch ebenso selbstverständlich und in perfekter Weise, ohne dass wir die geringsten Abstimmungs oder Abgrenzungsprobleme hatten. Das war aber nur möglich, weil Helmut sich aufgrund unserer teilweise gemeinsamen Geschichte im Projekt wiedererkennen und unmittelbar darin ausdrücken konnte, ohne sich gegen etwas wehren zu müssen und ohne Gefahr zu laufen, dass seine Arbeit als aufgesetzte, hinzugefügte Dekoration missverstanden würde.

Im Falle von Rémy Zaugg und dem Campus de Dijon ist die Geschichte genau umgekehrt; da wurden wir als Architekten von ihm, dem Künstler ausgesucht, um ein Projekt von Anfang an mit ihm zusammen zu entwickeln, eine Arbeit, mit der man an ihn herangetreten war und die er alleine nicht bewältigen konnte. Aber auch in diesem Falle, wo die Arbeiten ja von Anfang an gemeinsam zu Dritt entwickelt wurden, ist es so, dass es keine Abstimmungs und Hierarchieprobleme gibt, weil unsere architektonischen Konzepte auch in einer Zusammenarbeit mit Rémy brauchbar sind, da sie bewusst und unbewusst ebenfalls von seinem Denken beeinflußt sind.

Pierre und ich haben ja selbst während über 30 Jahren eine Zusammenarbeit entwickelt, die funktioniert, ohne daß wir sie je genau analysiert hätten. Entscheidend ist für uns jedoch immer gewesen, eine sehr starke konzeptionelle Ebene zu erarbeiten, auf der sich verschiedene Leute und Mitarbeiter ausdrücken können, ohne daß wir jedes Detail selbst ableiten müssen.

Es ist für uns in der Zukunft wichtig, diese Zusammenarbeiten mit Leuten von unterschiedlichem kreativem Potential wie Architekten, Ingenieure, Biologen und Künstler bis hin zu den Generalunternehmern und den Kalkulatoren auszubauen, um überhaupt Projekte in wachsender Zahl und Grösse ausführen zu können. Wir sehen das durchaus als Chance. Wir sind nicht interessiert daran, unseren eigenen Betrieb riesig aufzublasen, da erfahrungsgemäss ein unverhältnismäßig wachsender Anteil an organisatorischem Aufwand damit verbunden ist.

B.B.: Bedingt es nicht eine große Offenheit von Eurer Seite, nicht mit irgendwelchen Erfolgskonzepten zu operieren, die mit Euch identifiziert und dann repetitiv eingesetzt werden können, verstreut über verschiedenste Situationen und Länder, wie man das teilweise im „System der Stararchitekten“ feststellen kann? Es geht doch immer wieder um ein fundamentales Sicheinlassen, um eine grundsätzliche Energie zu erhalten. Ihr umkreist ja diese Kernsituation auch mit Vorträgen, Schriften und Ausstellungen. Für 1991 plant Ihr eine Ausstellung im Kunstverein München, in der Ihr Euch in einer freien Art und Weise darstellen könnt. Ist es möglich, über die Ausstellungskonzeption bereits etwas zu sagen?

J.H.: Die Räume des Kunstvereins in München sind sehr eigenwillig, bedingt durch ihre lineare und hierarchische Abfolge und das zweiseitig einfallende Tageslicht. Unsere Ausstellungskonzeption basiert auf diesen räumlichen Gegebenheiten; jeder Raum wird sich bezüglich Hängung/Installation und Medium (Zeichnung, Modell oder Video) klar vom anderen Raum unterscheiden und auf diese Weise die räumliche Abfolge und die räumliche Gewichtung unterstützen. Der erste Ausstellungsraum mit der Treppe ist der schwierigste Raum; das haben wir bei mehreren Besuchen feststellen können – keine der jeweiligen Ausstellungen konnte uns eine vernünftige Lösung anbieten. Hier wollten wir deshalb die stärkste Veränderung vornehmen: Wir entwickelten für diesen Ort eine Videoinstallation an der Wand gegenüber der Treppe, bestehend aus 16 Monitoren, die ein architektonisches Bild jeweils auf diese 16 Bildschirme aufteilt, so als seien diese Bilder auseinandergebrochen, auseinandergesprengt worden. Die Wand mit den Monitoren verliert dadurch ihre eigene, reale, räumliche Wirkung; sie wird aufgelöst und öffnet sich hin zu den folgenden Ausstellungsräumen. Als Mittel, diese architektonische Veränderung am Ort, in den gegebenen Räumen des Kunstvereins zu bewirken, verwenden wir ausgewählte Bilder unserer Architekturen, die irgendwo außerhalb dieser Räume im Freien stehen. Die Wahrnehmung unserer Architekturen erfolgt aber nicht via das perspektivische Bild, die Fotografie oder das Video, sondern über den realen Ausstellungsraum selbst, den wir umgestalten, den wir uns aneignen und zu einem Stück unserer Architektur machen. Unsere Architektur teilt sich nicht via Abbild und Trugbild mit, sondern durch den Ausstellungsraum selbst. Die Videoinstallation entsteht in Zusammenarbeit mit dem Videokünstler Enrique Fontanilles, mit dem wir schon eine Installation in Zürich – eine Videoprojektion auf eine 9 x 2, 5 m große Acrylplatte, die Du ja gesehen hast – gemacht haben. Er war auch verantwortlich für die große Videoinstallation in unserer Ausstellung am Collegio d’arquitectes de Catalunya in Barcelona, eine wunderbare Arbeit, bestehend aus 64 Monitoren, die rastergleich auf dem Boden des Ausstellungsraumes befestigt waren und ihr Licht an die Decken des ungleich hohen Raumes warfen.

B.B.: Was mich beschäftigt hat in bezug auf Eure Ausstellungsformen: Ich hätte mir sehr gut vorstellen können, mittels Video oder Fotografie die skulpturalen Momente Eurer Architektur, die Sensation der Materialität direkt zuzusetzen. Euer Zürcher Video übersetzte die im Architekturmuseum Basel auf den Fenstern angebrachten Siebdrucke ins Filmische. Ihr betont dadurch eine Abstraktheit Eurer architektonischen Bilder, eine bestimmte Entmaterialisierungstendenz ist da. Warum diese starke Auflösung zu ungunsten plastischer Qualitäten?

J.H.: Dies ist eine wichtige Beobachtung. Wir hüten uns davor, die Wirklichkeit unserer Architektur im realen Raum zu reduzieren auf ein perspektivisches Bild, das eine einseitige, trügerische Auskunft gibt über ein Haus. Dies war die erste Überlegung. Deshalb benutzten wir im Architekturmuseum Basel die Glasscheiben des Gebäudes, auf die wir raumhohe Siebdrucke von fotografierten Bauten direkt applizierten. Wir benutzten die Haut dieses Raumes, um auch auf ihn aufmerksam zu machen, um ihn zu durchdringen mit unserer Architektur. Wir versuchen in den realen Raum der Ausstellung einzudringen, um diesen verändert auf den Betrachter wirken zu lassen, so daß dieser unsere Architektur als räumliche Erfahrung, sozusagen „am eigenen Leib“ erfährt. Wir wollen den Ausstellungsraum nicht in herkömmlicher Weise belegen und ausstatten mit Dokumenten unserer architektonischen Arbeit. Solche Ausstellungen langweilen uns, da ihr didaktischer Wert eine trügerische Auskunft über unsere Architektur vermitteln würde. Man glaubt, von der Skizze zum fertigen fotografierten Werk etwas nachvollziehen zu können, aber in Wirklichkeit hat man gar nichts begriffen, sondern lediglich Dokumente einer architektonischen Realität zusammenaddiert.

Im Falle des Projektes einer orthodoxen Kirche war es so – und dies war wohl auch das Problem für die griechisch-orthodoxen Priester in der Wettbewerbsjury –, dass wir das Bild, die Ikone, die ja die Essenz dieser ganzen Religion ist, in einer Art und Weise mit der Wand des Kirchenraumes verschränkten, ja diese regelrecht durchtränkten, dass das Bild in gewisser Weise wieder verschwindet, aufgelöst wird in einer räumlichen Situation als Ganzes, verschwindet, weil es so präsent ist – ähnlich einer Tätowierung, die so sichtbar ist, dass sie auch wieder einen abstrakten, „bildlosen“ Charakter bekommt.

B.B.: Wir haben schon öfters über die verlorengegangene Tradition gesprochen, daß heute eine selbstverständliche Basis, die ein bestimmtes Niveau garantiert, gar nicht mehr da ist, vielmehr immer wieder von neuem angesetzt werden muss. Ich denke auch an die Tradition des Handwerks, an die Ethik der Ausführung, die immer mehr verschwindet oder zum Luxus wird. Ihr schafft neue Gruppierungen, um eine neue Fundamentsituation zu finden. Weiter kann man festhalten, dass Ihr mit einer gewissen Schlichtheit des Formenapparates arbeitet, dass ein gewisses asketisches Moment da ist. Kann man durch die Besinnung auf einfache Bautypen und Materialien der heute vorherrschenden Gefahr der Nivellierung und der vordergründigen Dekoration begegnen? Eure Arbeit wurde immer wieder mit der Arte Povera und Minimal Art verglichen, Strömungen der Gegenwartskunst, die heute schon eine kunsthistorische Dimension haben.

J.H.: Diese Vergleiche wurden von außen herangetragen; sie sind nicht von uns ausgegangen. Es ist sehr schwierig, dies so zu sehen, und ich finde es auch nicht besonders interessant. Was Du vorher gesagt hast mit dem Entschwinden dieser traditionellen Basis, etwa des Handwerks und auch inhaltlicher Traditionen, ist eine reale Tatsache. Ich finde es eine interessante Sicht, dass gerade dieses Bilden von Zellen, das Aufspannen eines Netzes von Leuten eine Qualität garantieren. Mit anderen Architekten, Ingenieuren oder Künstlern eine Arbeit zu schaffen, hat sicher damit zu tun, daß wir uns Fixpunkte schaffen müssen, um überhaupt etwas bewegen zu können; es ist sonst ja gar nichts vorhanden, nichts sogenannt Selbstverständliches, Überliefertes. Diese Bezugspunkte, die jeder selber erarbeiten muß, sind heute unerläßlich und in der Zukunft wohl noch mehr. Ich sehe das aber als eine Chance und nicht als einen Verlust. Den Verlust des Herkömmlichen empfinde ich sogar als eine Befreiung. Wir haben eigentlich gar nie etwas anderes gekannt. Für unsere Generation war das immer schon so, und wir haben uns so zurechtzufinden.

B.B.: Eine Partnersituation, die wir bis jetzt nicht angesprochen haben, ist diejenige mit dem Bauherr, dem Benutzer eines Gebäudes. Gerade in bezug auf einen Wohnbau spielt sie doch eine wesentliche Rolle. Die ganze Benützerebene, das Wohlbefinden von Bewohnern, der menschlich-soziale Aspekt von Architektur berührt andere Fragenkomplexe als etwa die autonome Qualität von Architektur, von der Du oft sprichst. Im Zusammenhang mit der Wohnsiedlung in Wien, die stark mit Repetitivität und einer absolut kargen Struktur arbeitet, habe ich mich beispielsweise gefragt, ob man sich als Bewohner wohlfühlt in dieser systematisierten Anordnung, die in einem gewissen Sinne eine Individualität bricht: Der Nachbar wohnt in einer identischen Situation. Ist die Idee einer so konsequent durchgestalteten Siedlung heute überhaupt noch aktuell? Das ist eine Frage, die mir durch den Kopf gegangen ist – bei aller bestechenden Klarheit und der Faszination dieser strukturellen Gliederung, die völlig einleuchtet.

J.H.: Ich glaube, dass das Wohnen ein Sonderfall dieser Frage bildet, weil da intime, persönliche Bereiche des Menschen angesprochen werden. Es ist etwas ganz anderes, als wenn wir ein Geschäftshaus oder ein Laborgebäude bauen, wo wir einer viel allgemeineren Situation gegenüberstehen. Wir gehen jedoch bei allen Bauaufgaben davon aus, wie wir es für uns selbst interessant und angemessen fänden. Wir würden nie etwas machen, das irgendeine Idee beinhaltet, die wir selber als unlebbar empfänden. Wir sind keine Zyniker, die eine bestimmte Rigidität um ihrer selbst willen scharf finden. Sicherlich ist unsere Idee vom Wohnen und vom Leben anders als bei anderen Leuten. Und gerade das Beispiel Wien zeigt dies: Zur Zeit haben wir Probleme wegen der Farbgebung. Die Auftraggeber revoltieren gegen das von uns und Helmut Federle vorgesehene Konzept. Eigentlich ist es ja ein Konzept der Farblosigkeit. Wir haben Farbe nur dort eingesetzt, wo sie unverzichtbar ist: bei Fensterrahmen oder Geländern, wo sie mehr eine Schutzfunktion hat, Anstrich ist. Die Außenwände sind mit zwei verschiedenen, nicht eingefärbten Sandsorten verputzt; hinzu kommt noch Sperrholz, das seine eigene Farbe hat, und Zinkblech, das wiederum eine spezifische Farbe hat. Aber wir arbeiten ohne Buntheit und Dekoration, weil wir der Meinung sind, dass gerade der unbeeinflusste „natürliche“ Zustand dieser gewöhnlichen Materialien, ihre Reinheit sozusagen, den Gebäuden eine aussergewöhnliche Ausstrahlung verleiht. Sie sollen einen neutralen Hintergrund bilden, da jede Familie, die hier einzieht, durch die Gestaltung des Außenraumes, durch die Individualisierung der Gartenflächen vor und hinter dem Haus, Ausdrucksmöglichkeiten hat, die ja erfahrungsgemäss eifrig benutzt werden. Es ist eine Gartensiedlung, und die unterschiedliche Begrünung des Aussenraumes wird einen stark individuellen Ausdruck schaffen. Wir gingen aus von diesem Kontrast zwischen den einfachen, schlichten Häuserreihen und den sehr individuellen Grünräumen. Wir wollten diese Individualisierung nicht selbst von aussen auf die einzelnen Häuser aufmalen, das wäre ja eine reine Dekoration und hätte mit der tatsächlichen Intimität der Leute überhaupt nichts zu tun.

B.B.: Aber die Bauherrschaft möchte eine gesteigerte Attraktivität des Äusseren…

J.H.: Ja, das Fehlen von Farbe ist ihnen unangenehm. Sie haben Angst, dass die Leute von ihren Mietverträgen zurücktreten könnten, und sie wollen deshalb alle von uns projektierten Häuser der Siedlung weiss streichen – die übrigen Gebäudezeilen der Siedlung von Adi Krischanitz und Otto Steidle sind ja zum Teil bunt bemalt. Ein solcher Anstrich wäre jedoch eine Zerstörung unserer ganzen architektonischen Konzeption. An diesem Beispiel wird deutlich, dass nur in wenigen Fällen eine echte Beziehung zwischen Architekt und Auftraggeber besteht.

B.B.: Du hast gesagt, dass Du eigentlich froh bist über die Zweckgebundenheit von Architektur, die Euch eine Einstiegsmöglichkeit in ein Projekt schafft, auch daß sich das Interessante erst im Zusammenspiel ergibt. Jetzt tönst Du bei diesem konkreten Beispiel sehr skeptisch, mehr was den Verlust eines wirklichen Gegenübers betrifft, das sich als Auftraggeber (und Vertreter der Gesellschaft) mit Euren Anliegen identifiziert, als das Bewältigen von funktionalen Fragen bei der Errichtung eines Gebäudes. Siehst Du diese gestörte Kommunikationsebene als grösste Qualitätseinbusse für die Architektur?

J.H.: Unser Gegenüber ist der Auftraggeber oder die Bauherrschaft, wie man das vor allem früher nannte. Historisch betrachtet hat sich die Bauherrschaft verändert: der Fürst der Feudalzeit, der bürgerliche Mäzen, der Fabrikdirektor des 19. und 20. Jahrhunderts und die Konzerne der Gegenwart. Sowie die Holding-Struktur die heutigen Konzerne in verschiedene Divisionen, Sparten und Zuständigkeiten zergliedert, um die ökonomische Beweglichkeit zu fördern, so wird auch ihr Gegenüber und die Kommunikation mit ihrem Gegenüber, also z.B. mit uns, den Architekten, zergliedert und in operabile Stücke zerteilt. Eine Folge dieser Entwicklung ist es, daß ein architektonisches Projekt heute verschiedene voneinander getrennte Realitätsebenen aufweist: z.B. die ökonomische Ebene, wo es als Investitions oder Kapitalanlage gilt, oder die funktionelle Ebene, als Gebilde, welches bestimmte Betriebsabläufe gewährleisten muß, oder die ästhetische Ebene, wo eine gewisse Repräsentation oder zumindest eine öffentliche Akzeptanz erreicht werden soll. Diese Trennung hat schon früher eingesetzt und auch stattgefunden, sie ist ja Ausdruck des Grundprinzips der industrialisierten Gesellschaft. Aber seit einigen Jahren, gefördert durch die Möglichkeiten der elektronischen Rechner, hat sich dieser Prozess der Zerteilung radikal beschleunigt und auch ausgeweitet: ein architektonisches Projekt kann heute vollständig, das heißt sowohl als Zeichnung als auch als Summe von Zahlen beschrieben, im Computer entwickelt, gespeichert und ausgedruckt werden. Jede Linie, jede Zahl ist dabei zunächst gleichwertig. Der Preis und die Beschreibung und die Zeichnung für jeden einzelnen Architekturteil kann separat errechnet, separat gewichtet und ausgetauscht werden. Warum sollte ein Dachträger, der gleich aussieht wie ein anderer, aber – so für sich genommen – teurer ist, nicht ausgetauscht werden gegen die kostengünstigere Variante?

Wir haben Architektur immer als eine Einheit verstanden und die Trennung in Funktion und Ökonomie und Ästhetik abgelehnt. Wir hatten immer eine Vorstellung davon, wo ein architektonischer Planungsprozess, an dem ja unzählige Leute beschäftigt sind, hinführen sollte, und wie diese unterschiedlichen Interessen und Anforderungen zusammenlaufen sollen. Jetzt sehen wir uns bei manchen Projekten mit der Notwendigkeit konfrontiert, Strategien zu entwickeln, die noch stärker als bisher auf unvermittelte, sich abrupt ändernde Anforderungen reagieren können, eben weil die eigentliche Kommunikation, also der „fliessende“, ständige Austausch von Information in einer logischen, gerichteten und verbindlichen Abfolge zwischen uns und unserem Gegenüber verschwunden ist und ersetzt wurde durch ein punktuelles, ungerichtetes, manchmal gar irrationales Auftreten von einseitigen Willensäusserungen der Bauherrschaft.

B.B.: Der heutige Architekt oder parallel, der heutige Künstler, muss als Einzelkämpfer agieren, aus sich selbst eine fundierte Haltung finden und diese behaupten. Die Avantgardebewegungen seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert hatten sich vom kollektiven Denken und Handeln isoliert, natürlich in der Hoffnung, auf eine zukünftige Entwicklung vorbildlich wirken zu können. Heute verliert sich diese Kontraposition von sozialer Dominanz und virulent individueller Leistung zusehends. Der kreative Einzelgang oder die kreative Komplizenschaft integriert sich immer mehr im gesellschaftlichen „Mainstream“. Hat der Architekt als programmatische Leitfigur, als utopischer Querdenker ausgedient?

J.H.: Die einzelnen Teile eines architektonischen Projekts sind während des Planungs- und sogar Ausführungsprozesses manipulierbarer und austauschbarer geworden. Angesichts dieser vorhin geschilderten strukturellen Veränderung des Auftraggebers, d.h. des gesellschaftlichen Gegenübers des Architekten, haben wir uns schon gefragt, ob der bis heute anhaltende Erfolg von Architekturen wie Hollein, Venturi oder Stirling auch gleichbedeutend ist mit dem Erfolg ihrer Arbeitsweise, mit ihrer Strategie der Dekoration. Tatsächlich scheint eine Konzeption von Architektur, welche Struktur und Verkleidung, Material und Raum als voneinander unabhängige, austauschbare Kategorien behandelt, am ehesten anpassungsfähig zu sein. Die Granitverkleidung eines Erkers kann auch durch granitfarbig gestrichenes Blech ersetzt werden, oder der Erker selbst durch einen trompe-l’oeil-Effekt. So wäre also dieses dekorative Denken das architektonische Denken der Zukunft? Wäre das eine eigentliche zukunftsgerichtete, architektonische Strategie? Vielleicht ist in der Radikalisierung dieser Tendenz eine zukünftige Form von Architektur tatsächlich vorweggenommen: Das spielerische, das erzählerische, das zufällige Moment, welches sich durch die in computerisierte Daten zerfallene Einheit der Architektur ergibt, kann nicht nur einseitig von Architektur-Dekorateuren ins Spiel gebracht werden, sondern von allen daran interessierten Bürgern und Bürgervereinigungen oder Mieterverbänden. Jedes Gebäude wird Ausdruck eines kollektiven Kompromisses, einer momentanen Geschmacksempfindung von Benützern und Behörden. Parallel zu einer solchen Entwicklung erkennen wir Anzeichen für ein eigentliches Verschwinden der Architektur in der heutigen begrenzten und begrenzbaren Form; ein Verschwinden der Architektur durch ihre zunehmende räumliche Ausdehnung, oder allenfalls mit einer vorübergehenden, temporären, beinahe provisorischen Begrenzung; Architektur mit einer wachsenden oder sich verändernden Oberfläche als Begrenzung, so wie die sich wandelnde Oberfläche und Masse eines Bergs oder eines Sees. Eine solche Entwicklung wird der Unterschied von Architektur/Stadt zur Natur, der heute bereits verwischt ist, gänzlich aufheben. Architektur und Natur, Stadt und Land können nicht mehr als traditionelles Gegensatzpaar wahrgenommen werden. Aber auch die Gebäude der Stadt, die einzelnen Häuser, sind nicht mehr in einer traditionellen, räumlichen Gegenüberstellung erkennbar und unterscheidbar, wie der Palazzo der Renaissance und des Klassizismus oder der Postmoderne; die Stadt ist eine Anhäufung, eine ununterscheidbare städtische Masse, wo sich Innenraum und Außenraum angleichen, wie in der mittelalterlichen Stadt oder noch eher der arabischen Stadt oder in den Städten der Puebloindianer auf den amerikanischen Mesas. Bei einem solchen bildhaften Vergleich, wie Architektur und Natur in eindrücklicher Weise als Einheit statt als Gegensatzpaar auftreten, scheinen besonders die Mesas interessant, deren oberste Schicht sozusagen aus den Pueblos der Indianer gebildet wird und dabei kaum mehr unterscheidbar ist von den unteren, natürlich gebildeten Gesteinsschichten des Bergs.

B.B.: Was ist Dir für Eure zukünftige Tätigkeit wesentlich, wie siehst Du projektiv Deine Stellung im Architekturgeschehen, gerade in städtebaulicher Hinsicht oder auf Entwicklungen sowohl in Osteuropa als auch in den Drittweltländern bezogen?

J.H.: Zusammenfassend könnte man sagen, daß Architektur in den vergangenen Jahren stark an gesellschaftlicher Anerkennung gewonnen hat. Ein Beweis dafür ist ja beispielsweise unsere Ausstellung im Kunstverein München, wo vorher nie Arbeiten von Architekten gezeigt worden sind. Das ist für uns ja sicher eine vorteilhafte Veränderung: Wir selbst können so natürlich mehr Einfluss nehmen, mehr einwirken auf die sich verändernde Gestalt der Städte. Andererseits haben wir ja in unserem Gespräch festgestellt, dass sich eine ganzheitliche Konzeption von Architektur nur auf mühsamen Umwegen – über ihre vorübergehende, vollständige Zerlegung in elektronische Daten – überhaupt realisieren lässt. Architektur wird sich dadurch neu definieren; der Arbeitsprozess des Architekten, sein Engagement im Kommunikationsprozess seines Projektes wird entscheidend sein, wichtiger als die herkömmliche, persönliche Stilentfaltung, die ja immer an ästhetische Vorurteile gebunden ist. Wir sind daran, für die verschiedenen Projekte verschiedene Strategien zu entwickeln, die dann auch verschiedene Formen von Kommunikation erfordern. Eine Möglichkeit ist die erwähnte Zusammenarbeit mit Künstlern, von denen wir seit jeher viel lernen konnten und die – ihrerseits konfrontiert mit den gleichen Identitätsproblemen wie ich sie für uns geschildert habe – auch interessante Partner sind. Ausnahmen sind jene Künstler, welche als Moralprediger auftreten und dabei ihre eigene Arbeit und deren Vermarktung auf dem Kunstmarkt außer acht lassen. Auch ein Donald Judd, dessen vernichtende Kritik an der Selbstgefälligkeit heutiger Architekten und Künstler wir einerseits natürlich teilen, sollte sich über die Fragwürdigkeit seiner Selbstinszenierung in der abgeschiedenen Landschaft von Marfa/Texas doch eigentlich bewußt werden.

Exemplarisch kann für uns nur eine Arbeit in der Stadt sein, in der Großstadt, im Amalgam der Stile und der Wünsche und der Notwendigkeiten. Diese Arbeit in und an und mit den Städten ist die architektonische und künstlerische und soziale Arbeit in der Zukunft.