Herzog & de Meuron

Gerhard Mack: Mit RĂ©my Zaugg verbindet euch eine lange Freundschaft und Arbeitsbeziehung. Wie habt ihr ihn ĂŒberhaupt kennengelernt?

Jacques Herzog: Das war zu Beginn der siebziger Jahre. RĂ©my verkehrte in der Basler Kunstszene. Ich habe mich damals auch noch als KĂŒnstler verstanden und war eng mit dieser Szene verbunden. Gleichzeitig haben Pierre und ich das ArchitekturbĂŒro etabliert. Wann wir RĂ©my genau kennenlernten, lĂ€sst sich nicht mehr rekonstruieren. Zuerst stand er uns gar nicht so nahe, wir waren mehr mit Alex Silber und Helmut Federle verbunden. Helmut ging damals, wie viele andere KĂŒnstler, bei meinem Bruder ein und aus und faszinierte mich als eine exzentrische KĂŒnstlerpersönlichkeit. Irgendwann aber wurde RĂ©my immer wichtiger fĂŒr uns und zwar als GesprĂ€chspartner fĂŒr einen intellektuellen Diskurs, der weit ĂŒber Kunst hinausging. Er wurde fĂŒr uns so wichtig, dass er zeitweise fast wie ein dritter Partner im BĂŒro war. Das war allerdings etwas spĂ€ter.

Pierre de Meuron: Wobei das Interesse natĂŒrlich gegenseitig war. RĂ©my interessierte sich bereits fĂŒr Architektur. Er arbeitete mit Atelier 5 in Bern zusammen und veröffentlichte 1987 seine Schrift «Das Kunstmuseum, das ich mir ertrĂ€ume oder Der Ort des Werkes und des Menschen». In diesem Buch formulierte er Aspekte, die uns interessiert haben, wie das Erfahren und Wahrnehmen von Kunst, und die Farbgebung der AusstellungsrĂ€ume. Von der Berner Erweiterung waren wir dagegen nicht sehr ĂŒberzeugt. Wir haben darĂŒber diskutiert, und in diesem Prozess ist ein gegenseitiges Interesse fĂŒr das jeweils andere Feld gewachsen.

Herzog: Vielleicht mĂŒsste man hier noch erwĂ€hnen, dass uns damals die Minimal Art sehr beschĂ€ftigt hat: Judd war fĂŒr mich sehr wichtig. Dieter Koepplin vom Kunstmuseum Basel hat damals Zeichnungen angekauft, die mich fasziniert haben. RĂ©my hat ĂŒber Judds Werk «Untitled, Six Cold Rolled Steel Boxes» (1969) 1982 ein Buch publiziert, das mittlerweile Kultstatus hat: «Die List der Unschuld. Das Wahrnehmen einer Skulptur». Das Buch eröffnete mir eine neue Welt, die Welt der unvoreingenommenen und fast sturen Beobachtung. Da setzte sich einer mit Kunst auf eine Weise auseinander, die wir nicht kannten, und fand dafĂŒr eine neuartige Sprache. Das hat grossen Eindruck auf uns gemacht. RĂ©my war wie ein Magnet, der einem hilft, eine eigene Spur zu finden. Dieter Koeplin hat ihn schon frĂŒh gefördert und im Kunstmuseum Basel ausgestellt. Wir kannten Dieter seit den siebziger Jahren von Beuys her; er erzĂ€hlte mir viel von RĂ©my Zaugg.

Mack: Das erste gemeinsame Projekt war der Masterplan fĂŒr die UniversitĂ© de Bourgogne in Dijon 1989. Wie ist es dazu gekommen?

de Meuron: Das kam von RĂ©my. Er kannte die Leitung des Consortium, zu der auch der PrĂ€sident der UniversitĂ€t zĂ€hlte, und er sagte ihr, dass man eine exemplarische Fallanalyse machen werde. Dann fragte er uns, ob wir das nicht zusammen machen wollten. FĂŒr die Basel-Studie «Stadt im Werden?» haben dagegen wir ihn angefragt. Er hatte damals eine Ausstellung im Consortium. Dort wollte man ein Kunstmuseum bauen, das mit dem kunsthistorischen Institut der 1971 gegrĂŒndeten UniversitĂ€t verbunden werden sollte, und hat ihn gefragt, ob er an diesem Projekt mitarbeiten wĂŒrde. Er schaute sich die Situation an und sagte, das ganze GelĂ€nde sei ein Chaos, da mĂŒsse man erst einmal Ordnung schaffen, bevor man an ein Museum denken könne. „C’est n‘importe quoi!“, war sein immer wieder verwendeter Ausdruck fĂŒr blöd, beziehungsweise Schwachsinn.

Herzog: Das ist typisch fĂŒr RĂ©my. Er wollte immer zuerst aufrĂ€umen, Klarheit schaffen.

de Meuron: Es kennzeichnet seine Herangehensweise, dass er nicht zuerst ein Kunstwerk verkaufen wollte, sondern dass es ihm um etwas Essenzielles ging. Das hat uns miteinander verbunden. Wir haben uns beide ĂŒber unser Feld hinaus interessiert: Er ĂŒber die Kunst hinaus, wir ĂŒber die Architektur. Wir hatten da einen sehr Ă€hnlichen Zugang zu unserer eigentlichen Arbeit.

Mack: Hat euch auch dieses BedĂŒrfnis nach AufrĂ€umen und KlĂ€ren verbunden?

Herzog: Am Anfang ging es darum, uns darĂŒber klar zu werden, was wir in der Architektur ĂŒberhaupt wollten. Es ist uns so gelungen, schon frĂŒh Spuren eines eigenen Wegs zu skizzieren. Aus der damaligen Zeit wird gerne unser Essay «Das spezifische Gewicht der Architekturen» zitiert, wo eine noch romantisierende Kunstszene mit Stimmungsbildern beschrieben wird. Der Austausch mit RĂ©my war ein Schritt in die Abstraktion und in eine minimale Sprache. Wir nannten das dann ja auch Minimalismus, ein damals in der Architekturwelt unbekannter Begriff. Einige Projekte von damals verkörpern diese minimale Tendenz exemplarisch.

Mack: Inwiefern?

Herzog: Zum Beispiel Antipodes, die Studentenwohnheime in Dijon, die in enger Zusammenarbeit mit Zaugg entstanden. Er hat hĂ€ufig eine Logik entwickelt, die alles ausmerzte, was sich nicht verbal erklĂ€ren liess, den Nutzern, den Menschen im Alltag aber vielleicht gefallen hĂ€tte. Architektur ist aber natĂŒrlich nicht nur logisch. RĂ©my wollte insbesondere alles Abbildhafte ausschliessen. Das wollten wir auch, aber uns reizte dennoch die Bewegung des Menschen; wir spĂŒrten intuitiv, dass Architektur FigĂŒrlichkeit nie ganz ausschliessen kann. Dennoch wollten wir damals auch in der Architektur alles Abbildhafte, FigĂŒrliche vermeiden. Antipodes hat wegen der Reduktion der Ausdrucksmittel und der radikalen, repetitiven Anordnung etwas Abstraktes, aber auch eine gewisse NĂ€he zu den Plattenbauten der 50-er und 60-er Jahre.

Mack: Aber warum habt ihr das mitgemacht? Ihr wusstet doch, dass in diesen Bauten Studenten wohnen sollen.

de Meuron: Das wĂ€re eine einseitige Betrachtungsweise. Der Entwurf hat durchaus eine poetische Seite, die man sicher hĂ€tte verstĂ€rken können. Wir haben vor die Zimmer einen ĂŒberbreiten Flur gelegt, damit dort Unerwartetes, Spontanes entstehen kann. Dann alternieren die Blöcke links und rechts des Flurs und nutzen die Hanglage fĂŒr eine Abtreppung. Das alles lockert die scheinbare Reduktion auf eine pure Logik wieder etwas auf. Dieses Infragestellen faszinierte auch RĂ©my Zaugg, gerade weil er so sehr auf einer SchlĂŒssigkeit beharrte. In seinem Buch «Das Kunstmuseum, das ich mir ertrĂ€ume oder der Ort des Werkes und des Menschen» wollte er ja alles bis ins kleinste Detail festlegen und begrĂŒnden. Bei den Farben geriet ihm die Entwicklung hin zum Grau, wie ich denke, dann ja auch als Fehlschluss.

Herzog: Da sieht man auch den Unterschied zu Antipodes. Da waren wir dabei und konnten das Konzept zu richtiger Architektur werden lassen. Pierre hat ganz Recht. Wir haben die Blöcke wie Eisenbahnwagen gesetzt. Es gibt Rhythmen, wenn sie auch sehr zurĂŒckgenommen sind. Aber damals waren wir noch nicht so weit, dass wir hĂ€tten sagen können, wir schauen, dass die GĂ€nge fĂŒr die Nutzer wirklich attraktiv werden. Es waren damals rein plastische Überlegungen. Wir fanden die Fassade sehr schön: Das scheinbar so Banale ist das Produkt intensiver BemĂŒhungen von uns als Autoren, Autorenschaft zu vermeiden. Die AussenhĂŒlle ist eine durchgehende FlĂ€che, fast wie ein Siebdruck RĂ©mys. Die Fenster treten nicht als Fenster in Erscheinung, sondern ermöglichen Wechsel in der OberflĂ€che. Sie lassen sie glĂ€nzen oder werden zu Spiegeln gegenĂŒber der matten Umgebung. Das sind malerische Überlegungen.

de Meuron: Das findet man dann auch in der Materialisierung beim Museum fĂŒr die Goetz Collection in MĂŒnchen, wo die unterschiedlichen Materialien Glas und Sperrholz bei Tag ein fast gleichmĂ€ssiges Aussehen von sich geben.

Herzog: Da wĂŒrde ich allerdings sagen, dass der Einfluss von Helmut Federle und unsere eigenen Überlegungen zu Raum und Material wichtiger waren als der Einfluss von RĂ©my. Die KomplexitĂ€t des Goetz Projekts war nur möglich ohne die von Zaugg geforderte Schritt-fĂŒr-Schritt-Logik. RĂ©my hat bei uns Vieles ausgelöst, das uns weiterbrachte. Wir erkannten aber zunehmend auch die Grenzen einer nur mit Worten antizipierbaren Entwurfslogik.

de Meuron: Im Analytischen haben wir viel von ihm gelernt. Das Hinschauen, das Wahrnehmen, das Sich-Äussern, das Infragestellen. Was sieht man, wie schaut man es an und warum findet man es interessant, vielleicht interessanter als eine Alternative? Nicht nur in der Kunst, sondern auch im StadtgefĂŒge.

Mack: Er ging bei seinen urbanistischen Überlegungen ja vom Bild aus, schaute auf die RĂ€nder und sah in ihnen Rahmen, wie er sie aus der Malerei kannte. In Dijon rahmte er das UniversitĂ€tsgelĂ€nde ein und gab dem Innenleben eine bildhafte Struktur, bis hin zu einer neuen zentralen Strasse, die sich wie eine WirbelsĂ€ule durchzieht. Die HĂ€user, sowohl die bestehenden wie auch die Erweiterungen, und auch die GrĂŒnrĂ€ume wurden in gewisser Weise zu Taches in diesem urbanistischen GemĂ€lde. Und bei der Basel-Studie habt ihr sehr prĂ€gnant die Randzonen definiert. Hat euch dieser malerische Ansatz, die gebaute Welt wie ein Bild anzuschauen, nicht verstört?

Herzog: Im Gegenteil. Es eröffnete uns einen eigenen Weg. Wir waren und sind ja bis heute eigentlich immer am Suchen. Wir wollten zum Beispiel das Potenzial einer minimalen, beinahe abstrakten Architektur testen, die es in der Architekturwelt damals nicht gab. Die Goetz Gallery ist dafĂŒr das radikalste und wichtigste Beispiel. Wichtig, weil es so logisch und abgeklĂ€rt erscheint und dennoch ein so poetischer Ort geworden ist. SpĂ€testens mit der Tate Modern haben wir dann wiederum neue Wege gefunden. Da haben wir realisiert, dass der Mensch mit seinen Bewegungsmustern und Gewohnheiten im öffentlichen Raum die Architektur wesentlich prĂ€gen kann, ja sogar prĂ€gen muss, damit Architektur, besonders im urbanen Massstab, ĂŒberhaupt funktionieren kann. Dieser Aspekt hat RĂ©my wenig interessiert.

de Meuron: Das ist vielleicht etwas zu radikal formuliert. Der Mensch kam bei ihm schon vor, insofern er die Stadt als Psychogramm anschaute. Wenn wir an die Studie Basel denken, da ist er an die Kantonsgrenzen gegangen, hat sie angeschaut, hat sie systematisch abgeschritten und beschrieben und die Bebauungsweisen psychologisch bewertet: Was die Stadtbasler nicht wollten, lagerten sie an die RĂ€nder aus, wie einen Friedhof, eine psychiatrische Anstalt oder eine MĂŒllverbrennung. Das war fĂŒr ihn ein Ausdruck der Basler Psyche.

Herzog: RĂ©my war ein Analytiker. Seine Analysen hatten immer auch etwas Anklagendes, geschahen mit erhobenem Mahnfinger. Das sehe ich heute noch mehr als damals, auch als eine SchwĂ€che. Erst in den letzten Jahren seines zu kurzen Lebens wurde er versöhnlicher und dadurch auch souverĂ€ner. Er hat ein grossartiges, eigenstĂ€ndiges Werk hinterlassen, das bis heute im weltweiten Kunstmarkt noch unterschĂ€tzt wird. Das wird sich Ă€ndern, weil die QualitĂ€t und die Frische, die AktualitĂ€t seiner Arbeit so ĂŒberzeugend ist. Er fehlt uns sehr! RĂ©my Zaugg hat in unserem Denken tiefe Spuren hinterlassen. Es wĂ€re wunderbar, wieder einmal etwas mit ihm zu machen
. Aber eigentlich tun wir das ja, weil er im Dialog von Pierre und mir nach wie vor sehr prĂ€sent ist!

Mack: Obwohl ihr in den letzten Jahren nicht mehr viel mit ihm zusammengearbeitet habt?

de Meuron: Das stimmt nicht ganz. Wir haben bis zu seinem Tod das Projekt in Porrentruy verfolgt und begleitet. Wie alles was RĂ©my anfing, war der Umbau der Maison Turberg eine exemplarische Auseinandersetzung mit dem Vorgefundenen, in diesem Fall mit einer jahrhundertalten verfallenen Bausubstanz.

Herzog: Das war aber eine andere Art der Zusammenarbeit als in den ersten Jahren, in denen wir viel miteinander gereist sind und stĂ€ndig alles diskutiert haben. SpĂ€testens mit der Tate Modern war diese intensive frĂŒhe Zeit vorbei. Es begann damals etwas Neues, durch das wir noch viel internationaler unterwegs waren. Mit unseren neuen Bauherrschaften wĂ€re es gar nicht möglich gewesen, einen KĂŒnstler von Beginn an mitzunehmen. Unsere Arbeitsweise verĂ€nderte sich, aber unsere Aufmerksamkeit und Offenheit wollten wir stets beibehalten. Es war ein sehr schöner Moment fĂŒr uns, als Remy im Jahre 2000 zur Eröffnung der Tate Modern kam und total begeistert war!

de Meuron: Jacques und ich hatten das GlĂŒck, von Anfang an immer wieder auf grossartige Persönlichkeiten zu stossen, angefangen von Joseph Beuys, Lucius Burckhardt und Aldo Rossi. RĂ©my gehört dazu. Bei ihm haben wir dieses gnadenlose Hinterfragen der eigenen Position kennengelernt. Man konnte nicht einfach sagen, dass einem etwas gefĂ€llt. Es ging darum zu ĂŒberlegen und zu begrĂŒnden, warum das so ist, woher die eigenen Reflexe kommen. Das ist gerade fĂŒr Architekten sehr wichtig, die viel zu oft nicht ĂŒber ihren eigenen geschmacklichen Schatten springen können. Manchmal ist der erste Impuls der richtige, aber das muss man erst herausfinden.

Herzog: Trotz seiner Ernsthaftigkeit und dieser manchmal sehr moralisierenden Haltung hatte RĂ©my auch einen unglaublichen Schalk. Wir haben wunderbare Stunden mit ihm verbracht, viel gelacht, es war wirklich eine grossartige Freundschaft. Oft sassen wir zusammen im Auto: Pierre fuhr und RĂ©my redete und rauchte unablĂ€ssig. Das Auto war wie eine Rauchkammer, erfĂŒllt von unserer Diskussion.

Mack: Wo seid ihr da hingefahren?

de Meuron: Ins Burgund, vor allem nach Dijon und Semur-en-Auxois. Wir haben die Projekte dort ja begleitet. Und RĂ©my kam mit zu den Sitzungen mit Bauherren, Behörden und Firmen. Die tudentenwohnheime durften nicht viel kosten. Darum sehen sie ja auch fast wie ein etwas edlerer Rohbau aus. RĂ©my hat bei solchen Sitzungen oft geschimpft, weil vieles fĂŒr ihn nicht stimmte, und den Leuten Aufgaben verteilt, die sie erledigen mussten. Oft hatte er mit seiner Kritik auch recht. Ich war kĂŒrzlich oben auf dem Meret-Oppenheim-Hochhaus hier in Basel. Die Aussicht ist umwerfend. Man sieht auf den Zentralbahnplatz; da fiel mir RĂ©my wieder ein. FĂŒr ihn stand das Denkmal auf der falschen Seite der Schnellstrasse. Er wollte es von der sechsspurigen Strasse wegrĂŒcken auf den Platz, damit dieser endlich ein Merkmal hat, das ihn prĂ€gt. Ähnlich ist er in MĂŒnster vorgegangen, als er abgestellte Skulpturen wieder an ihren ursprĂŒnglichen Ort rĂŒcken liess: Er wollte mit dem umgehen, das vorhanden ist. Es anders anschauen, umplatzieren, ihm dadurch eine Wirkung geben. Das verstand er als einen Akt der Produktion, die genauso wichtig war, wie das Herstellen von neuen Objekten.

Herzog: Dieses konzeptuelle Vorgehen war ein substanzieller Teil von Rémys Werk und hat uns sehr geprÀgt. Er bevorzugte es, als Autor unsichtbar zu werden. Manchmal reicht es bei Arbeiten im öffentlichen Raum ja, einfach etwas aufzurÀumen oder Bestehendes zu verschieben. Wenn es aber darum ging, ein neues Werk, z.B. einen Brunnen, neu zu entwerfen, zögerte er und war froh, wenn wir den ersten Schritt machten.

Mack: Hatte das auch Auswirkungen auf PlÀne und Ausstellungen?

de Meuron: Worauf RĂ©my sicher grossen Einfluss hatte, war die Darstellung von Projekten: Was ist eine Farbe, was ein Rot, was ein Blau? NatĂŒrlich wussten wir das bereits, aber er hat unser VerstĂ€ndnis von den Möglichkeiten der Farben geschĂ€rft. Und dann: Wie stellt man etwas aus? Die Ausstellung, die er im Centre Georges Pompidou in Paris zu unserer Arbeit eingerichtet hat, ist sicher eine der interessantesten Erfahrungen, die wir mit ihm machen durften. Wie kann „Architektur“ ausgestellt werden? – war dabei die zentrale, alles bestimmende Frage. Schon wie er die Tische gebraucht hat, war sehr erhellend.

Mack: Ihr habt davon gesprochen, dass die Tate Modern eine Abwendung markierte. Kann man sagen, dass sein Museumskonzept darin aufgehoben war? Immerhin kommt sein Atelier in Pfastatt als ein Raumtyp darin vor.

de Meuron: Es war immer schon so, dass er einen Ort in einem Entwurf hatte. Als wir die Tate Modern planten, verfolgte er bereits viel mehr eigene Projekte, und wir auch. Da konnten wir ihn schon zeitlich nicht mehr oft anfragen. Dazu kam, dass wir mit der Tate geografisch in einem viel grösseren Rahmen zu arbeiten begannen. StÀdtebauliche Fragen begannen eine noch grössere Rolle zu spielen als zuvor.

Mack: Obwohl ihr mit RĂ©my die grundlegende urbanistische Studie zu Basel gemacht habt, auf die die Studie Schweiz zurĂŒckweist.

de Meuron: Die Studie Schweiz haben wir ohne ihn gemacht. Wir haben damit 1999 begonnen, mit Roger Diener und Marcel Meili. Aber das Perzeptive, hinzugehen, zu schauen und zu beschreiben, das analytische Fragen danach, was man beschreibt und wie man das macht, das hat sicher mit RĂ©my zu tun. Da ist die Studie Schweiz eine WeiterfĂŒhrung der Basel-Studie «Eine Stadt im Werden?». In der Studie Schweiz sind wir weiter gegangen in Beschreibung und Analyse und haben fĂŒnf Typologien entwickelt, in die wir die Schweiz eingeteilt haben.

Herzog: Die Studie zur Schweiz wĂ€re ohne unsere frĂŒhere Basler Arbeit ĂŒber die trinationale “Stadt im Werden” nicht denkbar. Dennoch verĂ€nderte und erweiterte sich der Fokus, weil mit Roger Diener und Marcel Meili noch andere Kollegen beteiligt waren; ausserdem stiess noch der Geograf Christian Schmid dazu. In weiteren stĂ€dtebaulichen Studien zu StĂ€dten wie Neapel, Hongkong, Nairobi und anderen verĂ€nderten und ergĂ€nzten wir unsere analytischen Methoden. Alle diese Studien zu Stadt und Landschaft mĂŒnden in unserer wichtigsten These der “inevitably specific city”, welche RĂ©my nicht mehr kannte. Die Unausweichlichkeit, von der wir darin sprechen, ist aber gewiss verwandt mit der psychogrammatischen Struktur, welche wir am Beispiel von Basel schon aufdecken konnten.

Mack: Kam mit der Tate Modern auch etwas zum Ende?

Herzog: Es war der Abschluss der Phase, in der wir uns vom FigĂŒrlichen zum Abstrakten hinbewegt haben. Hernach kam unsere Auseinandersetzung mit dem Ornamentalen hinzu. Ich weiss nicht mehr, wie RĂ©my sich dazu stellte. FĂŒr die Fassade in Eberswalde begannen wir mit Thomas Ruff zusammenzuarbeiten. Das GebĂ€ude ist plastisch nicht so viel anders als die Wohnheime in Dijon und trotzdem etwas ganz anderes. Wir haben von uns aus einen Schritt zum Bild hin gemacht und es so massenhaft appliziert, dass es sich wieder aufhebt. Die starke PrĂ€gung, fast schon TĂ€towierung eines markanten Volumens wie eines Quaders lĂ€sst die eindeutige Geometrie ambivalent werden. Das war RĂ©my auch nicht ganz fremd: Die Wahrnehmung eines Objekts durch Spiegeleffekte, durch geschliffene oder ungeschliffene OberflĂ€chen erzeugt TĂ€uschungen. Da beisst sich die Katze in den Schwanz. Denn RĂ©my hat die Eindeutigkeit, die er immer wollte, auch abgelehnt. Er war ja durch und durch KĂŒnstler, und AmbiguitĂ€t, das Paradoxe ist eine fundamentale kĂŒnstlerische QualitĂ€t. Von daher hat ihn auch fasziniert, was wir gemacht haben.

Mack: Wie habt ihr eigentlich beim Roche Bau 92 von 1992 zusammengearbeitet?

de Meuron: Dort hatten wir fast die intensivste Zusammenarbeit im Hinblick auf Kunst und Architektur. RĂ©my hat sich in Richtung Architektur bewegt, mit einem Farbkonzept, das das ganze Haus umfasst: die Wandarbeit, die Farbe der StĂŒtzen, die Farbe der LabortĂŒren und die Farbe der Böden. So umfassend hat er sonst nur noch bei den FĂŒnf Höfen in MĂŒnchen mitgearbeitet. Da ging seine Mitwirkung ebenfalls weit darĂŒber hinaus, ein paar Schriftbilder im Sinne von Kunstwerken zu machen, die einem GebĂ€ude hinzugefĂŒgt werden. Er entwickelte die Signaletik und beeinflusste die Behandlung der OberflĂ€chen. Er bestimmte die Farbgebung der EingĂ€nge und der TreppenhĂ€user. Das wird immer noch befolgt, wenn neue Mieter einziehen und ihre Schilder in seiner Schrift drucken lassen, was bestimmt nicht selbstverstĂ€ndlich ist.

Herzog: Auch wenn wir Zaugg nicht konkret einbezogen, gibt es doch Projekte, bei denen uns seine Überlegungen, etwa zum Einsatz von Farbe, beeinflussten. Bei der Planung der St. Jakob Arena war er nicht dabei, da haben wir das Farbkonzept – eine VerschĂ€rfung der Wahrnehmung durch die KomplementaritĂ€t der Rot gestrichenen Innenwelt der Stadionrampen mit dem grell erleuchteten GrĂŒn des Rasens – selbst festgelegt.

Mack: Eure Projekte sind immer grösser geworden. Dabei habt ihr gelernt, die Dinge ein StĂŒck weit laufen zu lassen. FĂŒr ein Bauwerk wie ein Stadion kann man vielleicht drei, vier Entscheidungen treffen, die man durchsetzen muss, weil sie den Grundcharakter des GebĂ€udes bestimmen, den Rest muss man freigeben.

Herzog: Das ist so, und das wÀre mit Rémy nicht gegangen. Seine QualitÀt lag darin, ein Bild oder einen Ort in der Stadt minutiös zu analysieren und anschliessend von dieser Analyse her weiter zu fahren. Das geht bei grossen Planungen nicht mehr, die sind viel zu komplex und zu dynamisch, mit zahlreichen anderen Playern. Wir mussten auch zuerst lernen, mit dieser verÀnderten, weniger intimen Planungssituation umzugehen.

Im RĂŒckblick betrachtet gab es bei uns immer wieder solche Abschnitte, wo wir eine ganze Welt von Gedanken und Menschen hinter uns liessen, um in eine andere Welt zu gelangen. Das tönt vielleicht arrogant, aber in Wirklichkeit macht wohl jeder Mensch Ă€hnliche Erfahrungen. Beuys, Rossi, Burckhardt, Federle, Zaugg. SpĂ€ter kam dann Ai Weiwei, mit dem wir zu Beginn – ab 2002 – viele Jahre des Reisens in entlegenste Orte in China und intensiver Zusammenarbeit hatten. Diese Zeit mit Weiwei erinnert in vielem an das, was wir mit RĂ©my erlebten: Unser Kontakt mit ihm ist Ă€hnlich ernsthaft, freundschaftlich und auch unvergesslich lustig. Eine so hohe IntensitĂ€t der Zusammenarbeit und des Zusammenseins lĂ€sst sich nicht ĂŒber allzu lange Zeit aufrecht erhalten, ist aber jedes Mal sehr prĂ€gend gewesen.

de Meuron: Bei RĂ©my war das letzte Projekt, das eine solche Dringlichkeit hatte, das Auditorium du Jura. Letzteres baute zusammen mit Le Corbusier‘s Ronchamp und Courbet‘s Ornans auf einem territorialen Gedanken auf, dem Dreieck kultureller Bezugspunkte, dem dieses Objekt bei Courgenay Ausdruck geben sollte. Das hat uns wieder interessiert und wurde auch architektonisch ein sehr schönes Projekt, das leider aus Geldmangel nicht realisiert werden konnte.

Mack: Ihr habt einen Raum von RĂ©my Zaugg erworben. Was bedeutet dieses Werk fĂŒr euch?

Herzog: Wir wollen in Zukunft noch einige weitere RĂ€ume mit KĂŒnstlern, die fĂŒr uns wichtig waren und sind, einrichten. Das sind wie AnkerrĂ€ume in Museen. Die wollen wir in der NĂ€he unseres Archivs haben. Es sind RĂ€ume, die eine starke Autonomie haben und von dem jeweiligen KĂŒnstler idealerweise mitgestaltet werden sollen.

de Meuron: Und eine starke Ausstrahlung. Das empfinde ich jedesmal so, wenn ich dort bin. Wir wollen diese RĂ€ume auch zusammen mit den KĂŒnstlern entwickeln. Es soll nicht nur eine Arbeit sein, die wir aufstellen oder aufhĂ€ngen. Bei RĂ©my haben wir die Arbeit nach seinem Tod erworben, aber wir haben versucht, sie anhand einer kritischen Rekonstruktion in einer Ă€hnlichen Raum- und Lichtkonstellation zu zeigen, wie er sie entwickelt hat. Das war ja ganz in der NĂ€he an der Helsinki-Strasse im Dreispitzareal. Dort hatte er die 27 Bilder aufgehĂ€ngt und damit experimentiert. Es war ein Testraum fĂŒr ihn. Diesen Testraum hier bei uns zu haben, ist eine starke Energie.

Mack: Ist das auch ein Ankerraum fĂŒr eure Arbeit oder eine Hommage?

Herzog: Es ist einfach schön, dass er in unserer NĂ€he ist und auch noch eine Ausstrahlung hat, wenn wir selbst einmal nicht mehr da sind. Insofern ist es auch eine Hommage: ein Ort, an dem RĂ©my prĂ€sent ist. Gleichzeitig verweist der Raum mit seiner ganzen komplexen Geschichte aber auch auf uns, ist wie eine Art SchlĂŒssel zu unserer eigenen Arbeit.

de Meuron: Die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte kann sehr produktiv sein. Das gilt ja nicht nur fĂŒr das architektonische Werk, sondern fĂŒr das ganze Leben. Wenn jemand wie RĂ©my uns so lange und eng begleitet hat und immer noch in unseren Köpfen anwesend ist, wieso sollte er dann nicht durch sein Werk, durch das er weiterlebt, erlebbar und zu sehen sein? Wir wollen das am Leben erhalten, was fĂŒr uns wichtig ist.