Herzog & de Meuron Basel Ltd.
Rheinschanze 6
4056 Basel, Switzerland
Email: info@herzogdemeuron.com
Phone: +41 61 385 5757
Munich, Germany
Project Description available in German
Im Westen Münchens liegt nördlich der Friedenheimer Brücke ein 87’000m2 grosses Areal, das durch die Paketposthalle klar markiert ist. Sie wurde Ende der 1960er-Jahre errichtet, bis 1997 als Postbahnhof genutzt und ist seitdem als Briefverteilzentrum in Betrieb. 2018 entstand durch die geplante Verlagerung der Postnutzung und den Verkauf des gesamten Areals inklusive der Halle an die Büschl Unternehmensgruppe eine neue, ergebnisoffene Situation. Der Investor beauftragte Herzog & de Meuron, gemeinsam mit einem interdisziplinären Planerteam eine städtebauliche Studie zu erstellen, die eine gesamtheitliche Konzeption unter Berücksichtigung der Aspekte Landschaft, Infrastruktur und Siedlung verfolgt. Die Aufgabenstellung bestand darin, Ideen für eine neue Nutzung der zu erhaltenden denkmalgeschützten Paketposthalle sowie für das umliegende Areal als Urbanes Quartier mit einer entsprechend verdichteten Bebauung zu entwickeln. Vorgesehen ist ein Nutzungsmix aus frei finanziertem und gefördertem Wohnen, Gewerbe und Flächen für soziale und kulturelle Einrichtungen.
München wird als Stadt von Landschaftsräumen bestimmt. Zwei territoriale Elemente sind dabei von zentraler Bedeutung: Der Flussraum der Isar, welcher die Stadt von Südwest nach Nordost durchfliesst und das Gleisfeld, das den Stadtkörper von Westen her bis zum Hauptbahnhof im Zentrum durchmisst. Von diesem Gleisfeld wird der Westen Münchens in einen Nord- und einen Südteil unterteilt. Das Gebiet nördlich der Bahntrasse im Abschnitt zwischen Donnersbergerbrücke und Hirschgarten gehört zu den sogenannten Zentralen Bahnflächen, einem riesigen Stadtentwicklungsprojekt, das sich vom Hauptbahnhof bis nach Pasing im Westen der Stadt erstreckt. Ein besonderes Merkmal dieses Areals in der Nähe zur Kernstadt ist die Qualität und Engmaschigkeit, mit der es in die bereits bestehende Verkehrsinfrastruktur eingebunden ist. Seine Bebauung und die der unmittelbaren Nachbarschaft ist heterogen. Ausprägungen verschiedener Modelle von Stadt reihen sich aneinander.
Im Areal um die Paketposthalle treffen Potentiale und Defizite europäischer Stadtentwicklung aufeinander. Dazu zählen markante Einzelbauten ebenso wie Quartiere, denen eine Mitte, Orte für Begegnung und Austausch und damit Bedingungen für urbane Entwicklung fehlen.
Hier setzt das Konzept mit drei Strategien an:
– Das Monument wird zum öffentlichen Ort, zu einem frei bespielbaren, grossen, überdeckten Platz, der eine Bühne für vielfältige kulturelle Nutzungen bietet.
– Gemeinsam mit zwei auf die Halle ausgerichteten Türmen entsteht eine unverwechselbare Komposition, die das Areal als neuen, für ganz München relevanten Orientierungspunkt in der Stadt verortet.
– Um die Halle schliesst sich ein Quartier mit einer klaren und zugleich flexiblen städtebaulichen Typologie an, welche unterschiedlichste Nutzungen aufnehmen kann und in seiner kompakten Bauweise gleichzeitig urbane Dichte und Qualität entstehen lässt.
Die vielleicht utopisch anmutende Belebung der Paketposthalle als neuer, öffentlicher Ort hat im Fall Münchens eine Tradition, die sich im Konsens zwischen Stadt und Bevölkerung mehrfach als erfolgreich erwiesen hat. Immer wieder dienten grosse Kultur- und Bildungsbauten wie zum Beispiel die Alte Pinakothek, die Universität, das Gärtnerplatztheater und das Olympiaareal als treibende, zeitgemässe Kraft von Urbanität und gesellschaftlicher Transformation in neuen Stadterweiterungen.
Die gesamte Halle, eine freitragende Betonfertigteilhalle mit einer Spannweite von knapp 150m und einer Länge von 124m wird freigeräumt und das Monument allseitig geöffnet. Dadurch entsteht eine grossmassstäbliche, überdachte Ebene von 19’000sqm, die im klassischen Sinne den Hauptplatz des Quartiers darstellt und flexibel bespielt werden kann. Die Dimension von 19’000sqm ist eine Herausforderung. Damit dieser Ort als Inkubator von urbanem Leben erstarken kann, ist ein integriertes kuratorisches Konzept unter Mitwirkung der Stadtbevölkerung wünschenswert. Anstelle einer permanenten, monofunktionalen Nutzung ist vorgesehen, unterschiedliche Angebote über den Jahresverlauf unter dem Dach der Paketposthalle aufeinanderfolgen zu lassen. Die Vielfalt der Nutzungen wird die Halle als grosszügig überdachten Platz und überregionalen Veranstaltungsort dauerhaft im Bewusstsein der Bevölkerung verankern.
Unterhalb der Städtischen Ebene bieten neu geschaffene Untergeschosse Raum für Kultur- und Forschungsinstitutionen, Kongresssäle, für Galerien oder auch einen grossen Saal für Konzerte bzw. für Musiktheater. Diese permanenten Programmangebote sichern eine stetige Besucherfrequenz in der Halle und erweitern das Spektrum der Nutzungen in und rundum der Halle. Die Untergeschosse sind durch zwei grosszügige Lichthöfe an den beiden Längsseiten der Halle mit der Stadtebene verbunden. Zusätzlich bilden auch pavillonartige Bauten und ein möglicher Bühnenturm Verknüpfungen zwischen der «bespielten» Stadtebene und den «besiedelten» Tiefebenen, da sie deren diverses Programm auch oberirdisch erfahrbar machen. Der durch grosse, hangarartige Tore öffenbare Bühnenturm bietet ein zusätzliches Angebot für spezielle Aufführungsformate direkt in die grosse, frei bespielbare Hallenebene hinein.
Sowohl das neue Quartierzentrum innerhalb der Zentralen Bahnflächen als auch die Paketposthalle als neue, überregionale und vor allem öffentlich zugängliche Destination für Kultur sollen im Stadtkörper weithin sichtbar markiert werden. Der Masterplan sieht dafür die Setzung von zwei ca. 155m hohen Türmen vor, die dem Konzept einer vertikalen Stadt folgen. Sie reihen sich dabei in die Tradition anderer markanter Bauten Münchens ein, die jeweils genauso ihre eigenen historischen, sozialen und architektonischen Kontexte markieren. Die Türme sind damit eine zeitgenössische Erweiterung bestehender Orientierungspunkte in einer dynamischen, polyzentrischen Stadt. Die im gesamten Quartier angestrebte lebendige Nutzungsmischung setzt sich auch in den beiden Türmen fort. Die Hochhäuser werden als vertikale Stadt ein diverses Programm aufweisen mit zahlreichen Wohnungen unterschiedlichster Grösse, mit Kinderspielflächen, mit gastronomischen Angeboten, einem Hotel, mit Büroflächen und vor allem auch mit öffentlich zugänglichen Flächen im Erdgeschoss und – ganz zuoberst – in den beiden Turmspitzen. Diese obersten Etagen beider Hochhäuser wird man über zwei aussenliegende Lifte direkt vom dazwischen liegenden, öffentlichen Platz aus erreichen können. Die beiden, sich kreuzenden Schrägaufzüge signalisieren von Weitem die öffentliche Zugänglichkeit der zwei Türme und fügen sie zu einer skulpturalen Figur zusammen – zu einem Paar. Von jeder Seite erscheint diese Hochhausfigur wieder anders – beinahe wie ein Anagramm. Die Gestaltung der Fassaden ist plastischer Ausdruck der vielfältigen und unterschiedlichen Nutzungen, die in den Hochhäusern übereinandergestapelt sind. Wie eine vertikale Stadt. Während die unteren Geschosse mit Büroflächen einheitlicher und repetitiver gegliedert sind, drücken die feinteilig organisierten Hotel- und Wohngeschosse sich im oberen Teil plastisch differenziert und individualisiert nach aussen hin ab. Der obere Abschluss der Türme wird durch die öffentlichen Raumprogramme und durch die Integration der Schräglifte in die Gebäude geprägt. Auf allen Geschossen bieten Balkonzonen einen Aussenraumbezug und dadurch auch eine belebte, spielerische Erscheinung der Turmfassaden. Von der grossartigen Aussicht profitieren nicht nur die Bewohnerinnen und Bewohner der Türme, sondern alle Münchener. Die öffentlich zugänglichen Geschosse der vertikalen Stadt stehen allen Besucherinnen und Besuchern offen.
Die sechsgeschossigen Hofgebäude bilden den Stadtkontext, von dem sich die Ausnahmebauten Halle und Türme absetzen. Die lineare Bebauungsstruktur nimmt die Orientierung der Halle auf. Statt die Vielfalt urbanen Lebens durch unterschiedlichste Baukörper suggestiv zu entwerfen und baulich vorwegzunehmen, plädieren wir für eine klare und zugleich flexible Regelbebauung. Wenige, präzise definierte städtebauliche Vorgaben sollen gestalterische Spielräume in den einzelnen architektonischen Projekten bei gleichzeitiger Zusammengehörigkeit und Einbindung in den Quartierkontext ermöglichen. Die um ein Geschoss angehobenen Hofgärten sind als begrünte, halböffentliche Aussenräume vor allem für die Bewohner des jeweiligen Hofgebäudes zugänglich. Im Gegensatz dazu vermitteln die Gassen als autofreier Raum des kleinteiligen, urbanen Lebens zwischen der Öffentlichkeit der Paketposthalle und den privateren Hofgärten. Ein zurückversetztes Erdgeschoss akzentuiert den 4.5m hohen mineralischen Sockel, worauf fünfgeschossige, hölzerne Hofbauten mit einheitlicher Traufhöhe von 20.5m liegen. Die Erdgeschossflächen bieten Platz für unterschiedliche Gewerbenutzungen, aber auch für Büros, Restaurants oder soziale Einrichtungen und Betreuungsangebote. Die darüber liegende Hofbebauung lässt vielfältige Wohnungstypologien zu mit zweiseitigem Bezug zu den urbanen Gassen als auch zu den Gartenhöfen oder, wie im nördlichen Geviert, auch für Senioreneinrichtungen.
Das gesamte Quartier soll komplett von oberirdischem Autoverkehr freigehalten werden. Die Abhängigkeit vom motorisierten Individualverkehr soll durch eine noch weiter gesteigerte Einbindung in das bereits dichte ÖPNV-System und durch eine optimale Vernetzung mit den umliegenden Quartieren spürbar reduziert werden. Logistikerschliessung, Anwohner- und Nutzerparkplätze sind auf Tiefgeschossen angeordnet. Carsharing-Angebote, ein aktives Parkplatzmanagement und ein diversifiziertes Angebot zum Langsamverkehr ermöglichen es, die Parkplatzflächen von fünf auf drei Untergeschosse zu minimieren. Dadurch lassen sich die damit verbundenen CO2-Emissionen für die Erstellung des Projektes markant verringern. Ein Ausloten zusätzlicher Potentiale hinsichtlich CO2-Minimierung bei Konstruktionsweise, Materialwahl und Energieversorgung ist ein wichtiges Ziel im weiteren Planungsprozess. Das rechtliche Planungsinstrument für das Urbane Quartier legt bereits auf städtebaulicher Ebene einen wichtigen Grundstein für innerstädtische Nachverdichtung und sorgt für Vermeidung von weiterem Verbrauch der immer rarer werdenden Ressource Landschaft.
Das Gleisfeld wird als grosser zusammenhängender Landschaftsraum gelesen, der bis ins Zentrum Münchens eindringt. Wir sehen in den teils ungenutzten Restflächen der Bahninfrastruktur mit ihren noch sporadischen, ruderalen Landschaften das Potential einer durchgehend erlebbaren Grünachse. Der Masterplan bietet die Chance, hier ein wichtiges, bisher fehlendes „Puzzlestück“ auf der Achse Arnulfpark – Hirschgarten zu ergänzen. Das Areal um die Paketposthalle ist als Quartier im Westen Münchens konzipiert, in dem sich Stadt und Landschaft auf vielfältige und bewohnerfreundliche Weise durchdringen. Die Landschaftsgestaltung von Vogt Landschaftsarchitekten hält ein Spektrum verschiedener Typen von Aussenräumen bereit: Urbane Plätze und Gassen, halböffentliche Hofgärten auf den Sockelgeschossen der Hofbebauungen, sowie begrünte Dachgärten fügen sich zu einem differenzierten, dabei schlüssigen Gesamtbild in der urbanen Landschaft entlang des Gleisfelds.
Herzog & de Meuron, 2021
Site plan
Historical context
Masterplan study
Basis for participatory workshop
Further development of Masterplan implementing main recommendations from participatory process