Im Westen Münchens liegt nördlich der Friedenheimer Brücke ein 87 000 m2 grosses Areal, das durch die denkmalgeschützte Paketposthalle klar markiert ist. Sie wurde 1969 errichtet, bis 1997 als Postbahnhof genutzt und ist seitdem als Briefverteilzentrum in Betrieb. 2018 entstand durch die geplante Verlagerung der Postnutzung und den Verkauf des gesamten Areals inklusive der Halle an die Büschl Unternehmensgruppe das Potenzial, dieses letzte, innerhalb des Entwicklungsgebietes der sogenannten Zentralen Bahnflächen liegende Gebiet zu entwickeln und zugänglich zu machen. Der Projektentwickler beauftragte Herzog & de Meuron, gemeinsam mit einem interdisziplinären Planerteam eine städtebauliche Studie zu erstellen, die eine ganzheitliche Konzeption unter Berücksichtigung der Aspekte Landschaft, Infrastruktur und Siedlung verfolgt. Es sollten Ideen für eine neue Nutzung der Paketposthalle gefunden und gleichzeitig die städtebauliche Struktur des umliegenden Areals entwickelt werden. Frei finanzierte und geförderte Wohnungen, Gewerbe und Flächen für soziale sowie kulturelle Einrichtungen sollen ein dichtes, durchmischtes städtisches Quartier entstehen lassen.
Ort: Landschaft, Infrastruktur und Siedlung
München wird als Stadt von Landschaftsräumen bestimmt. Zwei territoriale Elemente sind dabei von zentraler Bedeutung: Der Flussraum der Isar, welche die Stadt von Südwesten nach Nordosten durchfliesst, und das Gleisfeld, das den Stadtkörper von Westen her bis zum Hauptbahnhof im Zentrum in einen nördlichen und einen südlichen Teil gliedert. Das Gebiet nördlich der Bahntrasse im Abschnitt zwischen Donnersbergerbrücke und Hirschgarten ist sehr gut durch den öffentlichen Nahverkehr erschlossen und die Bebauungsstruktur heterogen. Ausprägungen verschiedener Modelle von Stadt reihen sich aneinander.
Konzept: Ein öffentlicher Ort, ein Zeichen setzen, ein urbanes Quartier
Im Areal um die Paketposthalle treffen Potenziale und Defizite europäischer Stadtentwicklung aufeinander. Dazu zählen einerseits markante Einzelbauten wie die Paketposthalle, andererseits monofunktionale Quartiere, in welchen ohne Mitte und Orte für Begegnung zentrale Bedingungen für lebendiges städtisches Leben fehlen.
Hier setzt unser Konzept mit drei Strategien an:
- Das Monument wird zum öffentlichen Ort, zu einem frei bespielbaren, grossen, überdeckten Platz, der eine Bühne für vielfältige kulturelle, sportliche und soziale Nutzungen bietet.
- Gemeinsam mit zwei auf die Halle ausgerichteten TĂĽrmen entsteht eine unverwechselbare Komposition, die das Areal als neuen, fĂĽr ganz MĂĽnchen relevanten Orientierungspunkt in der Stadt markiert.
- Um die Halle schliesst sich ein dichtes, urbanes Quartier mit einer klaren und zugleich flexiblen städtebaulichen Hoftypologie an, welche unterschiedlichste Nutzungen aufnehmen kann.
Paketposthalle: das Monument als neue MĂĽnchner Kulturdestination
Die vielleicht utopisch anmutende Belebung der Paketposthalle als neuer, öffentlicher Ort hat im Fall Münchens eine Tradition, die sich im Konsens zwischen Stadt und Bevölkerung mehrfach als erfolgreich erwiesen hat. Immer wieder dienten grosse Kultur- und Bildungsbauten wie zum Beispiel die Alte Pinakothek, die Universität, das Gärtnerplatztheater und das Olympiaareal als treibende Kraft von Urbanität und gesellschaftlicher Transformation in neuen Stadterweiterungen.
Die gesamte Halle, eine freitragende Betonfertigteilhalle mit einer Spannweite von knapp 150 m und einer Länge von 124 m, wird von Einbauten freigeräumt. Im Monument entsteht eine grossmassstäbliche, überdachte Ebene, die im klassischen Sinne den öffentlich zugänglichen Hauptplatz des Quartiers darstellt und flexibel bespielt werden kann. Anstelle einer permanenten, monofunktionalen Nutzung ist vorgesehen, über den Jahresverlauf unterschiedliche Angebote unter dem Dach der Paketposthalle aufeinanderfolgen zu lassen. Die Vielfalt der Nutzungen wird die Halle als grosszügig überdachten Platz und überregionalen Veranstaltungsort dauerhaft im Bewusstsein der Bevölkerung verankern.
Unterhalb der Städtischen Ebene entstehen neu geschaffene Untergeschosse mit viel Raum für Kultur, für Galerien und mit einem Multifunktionssaal für 3 000 Besucher. Mit Bühnenturm und Proberäumen. Hier können Konzerte, Opern und Musicals stattfinden. Diese permanenten Programmangebote sichern eine stetige Besucherfrequenz und erweitern das Spektrum der Nutzungen in und rundum der Halle. Die Untergeschosse sind durch grosszügige Zugänge mit der Stadtebene verbunden. Zusätzlich bilden pavillonartige Bauten und ein Bühnenturm Verknüpfungen zwischen der «bespielten» Stadtebene und der «besiedelten» Tiefebene, da sie deren diverses Programm auch oberirdisch erfahrbar machen. Der Bühnenturm könnte beispielsweise ein zusätzliches Angebot für spezielle Aufführungsformate direkt in die grosse, frei bespielbare Hallenebene hinein bieten.
Turmpaar und Halle: ein stadträumliches Ensemble
Die Paketposthalle als neue, überregionale und vor allem öffentlich zugängliche Destination für Kultur soll im Stadtkörper weithin sichtbar markiert werden. Der Masterplan sieht dafür die Setzung von zwei ca. 155 m hohen Türmen vor. Sie reihen sich in die Tradition anderer markanter Bauten Münchens ein, die jeweils genauso ihre eigenen historischen, sozialen und architektonischen Kontexte markieren. Die Türme sind damit eine zeitgenössische Ergänzung bestehender Orientierungspunkt ein der dynamischen, polyzentrischen Stadt München. Die im gesamten Quartier angestrebte lebendige Nutzungsmischung setzt sich in den beiden Türmen fort. Die Hochhäuser werden als vertikale Stadt ein diverses Programm aufweisen mit zahlreichen Wohnungen unterschiedlichster Grösse und Wohnformen, Kinderspielflächen, gastronomischen Angeboten, Hotels, Büroflächen und vor allem öffentlich zugänglichen Flächen im Erdgeschoss sowie in beiden Turmspitzen. Diese obersten Etagen beider Hochhäuser wird man über zwei aussenliegende Lifte direkt von der Stadtebene aus erreichen können. Die an den Fassadenecken fahrenden Aussenaufzüge signalisieren von Weitem die öffentliche Zugänglichkeit des Turmpaars. Sie bilden eine Art vertikalen Boulevard, der die öffentlichen Etagen erschliesst.
Die plastische Gestalt der beiden Hochhäuser leitet sich aus dem geschwungenen, stark profilierten, wellenförmigen Dach der Paketposthalle ab. Die begehbare, vertikal gerippte Raumschicht vor der Fassade verleiht den Türmen Leichtigkeit und betont ihre taillierte Kontur. Zusammen mit der Halle bildet das zueinander gewandte Turmpaar ein Ensemble in starker räumlicher Beziehung.
Quartier: Flexibilität, Durchmischung und programmatische Vielfalt
Ein grosszügiger Quartierpark direkt vor der Paketposthalle bildet die grüne Mitte des Areals. Die lineare Bebauungsstruktur der Hofbauten nimmt die Orientierung der Halle auf und fügt sich an den Aussenrändern der Parzelle in die Geometrie der Nachbarschaft ein. Wenige, präzise definierte städtebauliche Vorgaben sollen gestalterische Spielräume in den einzelnen architektonischen Projekten bei gleichzeitiger Zusammengehörigkeit und Einbindung in den Quartierkontext ermöglichen.
Die um ein Geschoss angehobenen Hofgärten sind als begrünte, halböffentliche Aussenräume vor allem für die Bewohner des jeweiligen Hofgebäudes zugänglich. Im Gegensatz dazu vermitteln die Gassen als autofreier Raum des kleinteiligen, urbanen Lebens zwischen der Öffentlichkeit der Paketposthalle und den privateren Hofgärten.
Zurückversetzte Erdgeschosszonen akzentuieren die mineralischen Sockel, auf denen fünf- bis sechsgeschossige Hofbauten liegen. Die Erdgeschossflächen bieten Platz für unterschiedliche Gewerbenutzungen, für Büros, Restaurants oder soziale Einrichtungen und Betreuungsangebote.
Die darüber liegende Hofbebauung lässt vielfältige Wohnungstypologien zu – mit zweiseitigem Bezug zu den urbanen Gassen als auch zu den Gartenhöfen.
Ergänzend zu den Hofbauten vermitteln zwei weitere Hochpunkte zwischen dem neuen Quartier und der Nachbarschaft: Der bestehende Postturm an der Arnulfstrasse wird erhalten und saniert. Ein ca. 65 m hoher Holzhybrid-Turm mit preisgedämpften und geförderten Wohnungen wird den Quartierpark zur Wilhelm-Hale-Strasse hin abschliessen.
Mobilität und Nachhaltigkeit
Das gesamte Quartier soll komplett von oberirdischem Autoverkehr freigehalten werden. Die Abhängigkeit vom motorisierten Individualverkehr soll durch eine noch weiter gesteigerte Einbindung in das bereits dichte ÖPNV-System und durch eine optimale Vernetzung mit den umliegenden Quartieren spürbar reduziert werden. Logistikerschliessung, Anwohner- und Nutzerparkplätze sind auf Tiefgeschossen angeordnet. Carsharing-Angebote, ein aktives Parkplatzmanagement und ein diversifiziertes Angebot zum Langsamverkehr ermöglichen es, die Parkplatzflächen von fünf auf drei Untergeschosse zu minimieren. Dadurch lassen sich die damit verbundenen CO2-Emissionen für die Erstellung des Projektes markant verringern.
Ein Ausloten zusätzlicher Potenziale hinsichtlich CO2-Minimierung bei der Konstruktionsweise, der Materialwahl und der Energieversorgung ist ein zentrales Ziel und wird im weiteren Planungsprozess stetig vertieft.
Das rechtliche Planungsinstrument für das Urbane Quartier legt bereits auf städtebaulicher Ebene einen wichtigen Grundstein für innerstädtische Nachverdichtung und sorgt für Vermeidung von weiterem Verbrauch der immer rarer werdenden Ressource Landschaft.
Die Landschaft in der Stadt
Das Gleisfeld wird als grosser zusammenhängender Landschaftsraum gelesen, der bis ins Zentrum Münchens eindringt. Wir sehen in den teils ungenutzten Restflächen der Bahninfrastruktur mit ihren noch sporadischen, ruderalen Landschaften das Potenzial einer durchgehend erlebbaren Grünachse. Der Masterplan bietet die Chance, hier ein wichtiges, bisher fehlendes «Puzzlestück» auf der Achse Arnulfpark – Hirschgarten zu ergänzen.
Das Areal um die Paketposthalle ist als Quartier im Westen Münchens konzipiert, in dem sich Stadt und Landschaft auf vielfältige und bewohnerfreundliche Weise durchdringen. Die Landschaftsgestaltung von Vogt Landschaftsarchitekten hält ein Spektrum verschiedener Typen von Aussenräumen bereit: Quartierpark, urbane Plätze und Gassen, halböffentliche Hofgärten auf den Sockelgeschossen der Hofbebauungen sowie begrünte Dachgärten fügen sich zu einem differenzierten, dabei schlüssigen Gesamtbild in der urbanen Landschaft entlang des Gleisfelds.