Das Areal „Am Tacheles“ ist eine der letzten großen Lücken in Berlins Mitte. Als wir den Auftrag bekamen, die Planung des Areals zu übernehmen, fanden wir einen Ort vor, der zur Hälfte als Parkplatz genutzt und ansonsten der Natur überlassen wurde. Eine leere, große Brache, eingeschrieben in die Mitte des trapezförmigen städtischen Blockes geformt durch Friedrichstraße, Oranienburger Straße, Johannisstraße sowie Tucholskystraße. Nur die drei äußersten Ecken des Blockrandes waren bebaut und belebt. Das ehemalige Tacheles Gebäude blickte als traurige Ruine über das leere Gelände. Noch bis vor kurzem erinnerte ein Trampelpfad durch das Tacheles Torgebäude und über das Areal an den Verlauf der alten Passage und den noch immer gegangenen Weg. Das einst so lebendige, besetzte Künstlerhaus, das exemplarisch für das Berlin nach dem Fall der Mauer stand, hatte seine Anziehungskraft verloren. Der durch die Künstlergruppe knapp vor dem Abriss gerettete Gebäudeteil der ehemaligen Friedrichstraßen-Passage war zu einer stummen Ruine ohne Inhalt und Kontext verkommen.
Hier setzt unser städtebauliches Konzept für das Areal an. Wir nutzen den Bestand, den die Geschichte bewahrt hat, um den Block wieder zu schließen. Wir geben dem Fragment seinen Körper zurück, jedoch als reine Struktur, eine innere Gasse, welche die wichtige Verbindung zwischen Friedrichstraße und Oranienburger Straße erneut schafft. Keine Rekonstruktion oder Simulation, sondern eine Interpretation des historischen Fußabdruckes. Das Tacheles Gebäude wird in die zukünftige Bebauung integriert und durch eine geplante kulturelle Nutzung revitalisiert. Die Tiefe der Geschichte des Ortes soll wieder erlebbar und gleichzeitig fortgeschrieben und weiterentwickelt werden.
Auch der verbleibende Teil des Blockes bezieht sich auf den historischen Stadtgrundriss. Unser Ziel ist es, den Kontext zu respektieren und gleichzeitig dafür eine unverwechselbare und neue Form zu finden. Dafür füllen wir den Block zunächst vollständig auf und schneiden dann eine Folge von unterschiedlich proportionierten Plätzen, Höfen und Wegen wieder aus. Der Block wird porös und durchlässig. Wir entwickeln eine weitere Dimension für den typischen städtischen Blockrand, ein eigenes Innenleben, welches eine lebendige Nutzungs- und Nutzermischung im Blockinneren ermöglicht. Das Herzstück ist ein großer, begrünter Platz, der sich zur Oranienburger Straße hin öffnet und das Areal als identitätsstiftender Ort prägen wird. Geschäfte, Restaurants, Cafés und Einzelhandel bilden den Platzsaum und aktivieren das Innere des Blockes. Entlang der Johannisstraße führt die geplante Wohnbebauung und eine Abfolge von unterschiedlichen Höfen die umliegende Bebauung fort. Dabei haben wir darauf geachtet, dass die einzelnen Gebäude und angrenzende Höfe und Plätze bereits in ihren grundlegenden Typologien sehr unterschiedlich ausgelegt sind. Das reicht von einem kleinen städtischen Platz, der das Areal vom Süden her erschließt, bis hin zu einem halbprivaten Innenhof auf den sich die großzügigen Balkone der angrenzenden Wohnungen öffnen. Die geplanten Gebäudetypologien unterscheiden sich wesentlich. Sie umfassen unter anderem ein Loftgebäude mit überhohen Decken und stützenfreien Räumen, kompakte Stadthäuser mit darüber liegenden Stadtwohnungen, sowie Studiowohnungen entlang einer Brandwand.
Grundsätzlich geht es bei der Planung für das Am Tacheles darum ein Stück Stadt zu schaffen, welches die menschliche Bezugsgröße und eine gewisse Intimität nicht außer Acht lässt. Um gebaute Struktur, die robust und direkt ist, in ihrer konstruktiven Umsetzung als auch in der Wahl der Materialien. Und um einen attraktiven und lebendigen Stadtraum, welcher der Gemeinschaft als auch dem Individuum dient.
Herzog & de Meuron, 2016