Einleitung
Die Stadt Sion hat einen internationalen städtebaulichen Wettbewerb durchgeführt, mit dem Ziel eine langfristige Vision für Ronquoz 21 aufzuzeigen. Das rund 60ha grosse Transformationsgebiet liegt südlich des Bahnhofs, zwischen Gleisen, Rhone und Flugplatz. Der Wandel des Industriegebietes in ein durchmischtes Stadtquartier hat mit der Ansiedelung von Schulen wie der EPFL und grösseren Dienstleistern bereits begonnen. Herzog & de Meuron sind im Dezember 2019 zusammen mit Michel Desvigne Paysagiste als Sieger aus dem Wettbewerb hervorgegangen.
Mit dem Projektvorschlag werden Thesen aus Die Schweiz. Ein städtebauliches Portrait (2006) und achtung: die Landschaft (2015) des ETH Studio Basel einem Praxistest unterzogen. Die Anwendung des revidierten Raumplanungsgesetzes wird die Bautätigkeit im weitläufigen Bergkanton Wallis einschränken. Trotzdem ist eine Verdichtung im Talgrund möglich und richtig, da Sion und Ronquoz Teil des Städtenetz in der Rhonetalebene sind, wo die Bedingungen und die Nachfrage zu Verdichtung ideal sind und die «Bandstadt Wallis» wächst. Die Maxime «Baue auf dem Gebauten» kommt zum Tragen: Anstatt das Siedlungsgebiet weiter in die Landschaft auszudehnen, soll dort gewohnt und gearbeitet werden, wo Land bereits heute überbaut und gut erschlossen ist. Der Vorschlag zur Transformation des Industrie- und Gewerbegebietes Ronquoz 21 hat Modellcharakter. Eine übergeordnete Landschaftsidee stellt den physischen und sozialen Zusammenhalt ins Zentrum. Flexibilität in der Entwicklung kommt vor Formwille, bestehende und neue Bauten und Nutzungen koexistieren. Städtebauliche Prinzipien legen die schrittweise Umsetzung in gemischt genutzte Quartiere fest
Vision
Sion weiterbauen und gleichzeitig die Landschaft in die Talmitte zurückbringen. Die Bebauung konzentriert sich in Talrichtung parallel zu Geleisen und Autobahn, und schafft in der Mitte Raum für Landschaft. Die dichte Bebauung sorgt für die Belebung des Stadtbodens. Urbane Dichte und grosse Freiräume bedingen einander.
Landschaft, Bäume, Klima. Zentrale Identität und Erholungsort von Ronquoz sind eine Kette von Gärten, die chaîne de parcs. Die Gärten sind verbunden durch den cordon boisé, einen von Bäumen dicht gesäumten Weg. Dichte Bepflanzung erzeugt auch die verbindende Identität in den Quartieren: auf Strassen, Plätzen und in den Gärten zwischen den Häusern werden überall Bäume in grosser Zahl gepflanzt, hauptsächlich Obstbäume. Sie spenden Schatten und sorgen zusammen mit Massnahmen zur Wasserretention für ein angenehmes Klima – heute und in Zukunft erst recht.
Schrittweise Transformation. Das städtebauliche Konzept ist eine Methode mit einem Satz von Regeln für Freiräume und für Bauten, ohne a priori einer vordefinierten Geometrie folgen zu müssen. Bestehende gewerbliche und industrielle Nutzungen können mit neuen Nutzungen koexistieren. Gemeinsam ist den einzelnen Ausbauetappen, dass sie einen Beitrag zur übergeordneten landschaftlichen Idee leisten. Jeder Zwischenschritt ist für sich gesehen eine qualitative Stadterweiterung.
Mehrwert aus Verdichtung für die Gemeinschaft. Der durch erhöhte Ausnutzung generierte Mehrwert, fliesst in die Erstellung und den Unterhalt von Parks und Plätzen, in gemeinschaftliche Nutzungen und in die Vergünstigung von erdgeschossigen Mietflächen, so dass ein Mehrwert für die Gemeinschaft entsteht.
Zehn städtebauliche Prinzipien
I. Cordon Boisé: Verbindung und Identitätsstifter
Die cordon boisé ist ein von Bäumen gesäumter Weg für Fussgänger und Langsamverkehr, der durch ganz Ronquoz mäandriert. Auf wenig Raum und mit wenigen Mitteln schafft dieser Weg von Anfang an eine Verbindung durch Ronquoz, welche Identität schafft. Er knüpft an die bestehende Stadt und die umgebende Landschaft an.
II. Chaîne de parcs, Obstbäume in den Quartieren
Mit jedem Erweiterungsschritt von Ronquoz wächst entlang des cordon boisé die chaîne de parcs. Durch Eigentumsverhältnisse geformt und flexibel auf die fortlaufende Transformation reagierend, addiert sich über die Zeit ein zusammenhängender Freiraum. Die Place de la Gare und die Place du Rhone sind Teil der chaine de parcs und verknüpfen den neuen Stadtteil Ronquoz mit dem gewachsenen Sion.
III. Natur in den Quartieren
Plätze, Strassen und Gärten werden dicht mit Obstbäumen bepflanzt. Die Vegetation in den Quartieren ist Teil der übergeordneten Landschaftsidee.
IV. Offene Bebauung, vielfältige Gebäudetypologien
Die für Sion typische offene und durchlässige Bauweise ist auch in Ronquoz die Regel. Durch die Zwischenräume sind die Häuser vielseitig orientiert, von Bäumen umgeben und lassen Blicke in die Parks und in die „Grand Paysage“ zu. Das Höhenprofil steigt dem plafond aérien des benachbarten Flugplatzes folgend von Westen nach Osten an, wodurch sehr unterschiedliche Quartiere mit verschiedenen Dichten und Gebäudetypologien resultieren, und damit vielfältige Wohn- und Arbeitsformen.
V. Gewerbebauten als Lärmschutz
Neue, grosse Gewerbe- und Bürobauten entlang von Bahnlinie und Autobahn schirmen Wohngebäude und Gärten im Inneren vom Lärm ab. Die Transformation von Ronquoz soll dem Gewerbe Entwicklungsspielraum geben anstatt es zu verdrängen. Gewerbebetriebe können auf ihren Parzellen bleiben oder in Neubauten, hauptsächlich am Rande des Gebiets, umziehen.
VI. Fussgängern, Langsamverkehr und ÖV Vorrang geben
Mit der Anlage des cordon boisé besteht von Anfang an eine zentrale Fussgänger- und Veloverbindung durch die Mitte von Ronquoz. Nach und nach wird der motorisierte Individualverkehr aus der Mitte hinaus auf die zwei Längsachsen parallel zu Bahn und Autobahn umgelegt. Grosszügige, von Bäumen geschützte Trottoirs transformieren den funktionalen Strassenraum in einen qualitativen Aufenthaltsraum. Quartierstrassen garantieren die Erschliessung jedes Hauses.
Der Bahnhof von Sion wird zu einem multimodalen Verkehrshub mit Busbahnhof, Seilbahnstation, Auto- und Veloparking. Die zwei Stadtseiten nördlich und südlich der Gleise werden gleichzeitig versorgt und verbunden. Alternativ zu den bisherigen Planungen könnte die Platzierung des Busbahnhofs an der Rue de l’Industrie eine verkehrsfreie Esplanade zwischen Gleisen und Bildungsbauten ermöglichen.
VII. Konzentration der Parkierung in Silos
Parkhäuser entlang der Hauptachsen decken den Parkplatzbedarf in Gehdistanz zu allen Häusern (max. 300m), ohne teure unterirdische Strukturen zu bauen. Diese Gebäude können durch sich veränderndes Mobilitätsverhalten um- oder rückgebaut werden. Für Besucher, kurzzeitiges Parkieren und vor allem für die Gewerbetreibenden stehen weiterhin Parkplätze entlang der Strassen zur Verfügung.
VIII. Zwischenschritte: immer ein neues Quartier und ein neuer Park
Neue, durchmischte Nachbarschaften entstehen schrittweise nördlich und südlich des cordon boisé. Jedes Quartier besteht aus einem bebauten Teil und einem kleinen oder grösseren Park, der sich zur Mitte orientiert und über den cordon boisé mit den weiteren schon entstandenen Freiräumen verbunden ist. Mit der Transformation in Schritten geht auch die Rückeroberung des Industrieareals durch die Natur einher.
IX. Erhalt von Strassen, Parzellen und Freiräumen
Parzellen, Strassen und bestehende Freiräume werden weitestgehend in den neuen Plan übernommen, um eine schrittweise Umsetzung der Vision zu ermöglichen – sie werden formgebender Treiber im Transformationsprozess. Ihre Geometrien sind historisch geprägt, wie etwa durch landwirtschaftliche Anbaustrukturen oder Verläufe von Kanälen. Die nicht-bebauten Gebiete in der Mitte werden wieder zu Gärten, gebaut wird an den Rändern.
X. Nutzungsdurchmischung
In Ronquoz, in seinen Quartieren und auch innerhalb der Häuser werden Nutzungen in Zukunft noch vermehrt durchmischt. Das Nebeneinander und Übereinander von Arbeiten und Wohnen, die Durchmischung von kommerziellen und öffentlichen Nutzungen an Hauptstrassen, Plätzen und am Park beleben Ronquoz. Besondere Akzente werden mit vereinzelten Spezialbauten wie einer Schule, einer Halle oder umgenutzten Bauten gesetzt.
Herzog & de Meuron, 2019