LYON CONFLUENCE - ÎLOT A3
Transformation von Lyon Confluence in zwei Phasen
Lyon Confluence ist ein grossmassstäbliches, städtebauliches Projekt, das seit 2003 in zwei Phasen geplant und umgesetzt wird. Die lebendige, dichte Innenstadt auf der Halbinsel zwischen den Flüssen Rhône und Sâone, wächst nach Süden in ein Gebiet hinein, welches in der Confluence, dem Zusammenfluss der beiden Gewässer, endet. Die südliche Halbinsel war bis zur Befestigung der Ufer im 19. Jahrhundert Überschwemmungsgebiet und wurde durch den Bau der Eisenbahn vom Grossteil des Stadtkörpers abgeschnitten. Deshalb siedelten sich bis vor kurzem trotz zentraler Lage vorwiegend periphere Nutzungen wie ein Grossmarkt, die Gendarmerie, produzierendes Gewerbe, ein Gefängnis, ein Zirkus und ähnliches hier an.
Die erste Phase der Transformation von Lyon Confluence in ein städtisches Quartier betraf den westlichen zwischen dem Cours Charlemagne – die Hauptachse, welche die gesamte Halbinsel von Norden nach Süden durchläuft – und der Saône gelegenen Teil. Sie wurde unter der Federführung von François Grether, François Leclercq und Michel Desvigne 2018 abgeschlossen. Östlich des Cours Charlemagne reicht das Gebiet der zweiten Phase von Lyon Confluence bis an die Rhônefront und umfasst in erster Linie das Terrain eines ehemaligen Grossmarkts. Der dafür für entwickelte Masterplan geht auf einen Wettbewerb auf Einladung zurück, den Herzog & de Meuron zusammen mit Michel Desvigne 2009 gewonnen haben.
Effiziente Administration und persönliches Engagement
Wie in anderen Städten in Frankreich, wurde für die Entwicklung von Lyon Confluence 1+2 eine städtische Entwicklungsgesellschaft (Société publique locale, SPL) gegründet, die vom Bürgermeister präsidiert wird. Sie kann unter der Leitung von kompetenten Persönlichkeiten effizient planen, entscheiden und realisieren. Die SPL war massgeblich dafür verantwortlich, dass die Entwicklung des Quartiers in vergleichsweise kurzer Zeit erfolgen konnte. Gérard Collomb, Bürgermeister Lyon von 2001 bis 2017 hat die Entwicklung von Lyon Confluence mit grosser Präsenz gesteuert. Engagement, Hingabe und Selbst-Verpflichtung waren seine obersten Gebote. Dazu zählte auch, die Bevölkerung auf vorbildliche Weise in den Prozess miteinzubeziehen (concertation).
Die Aufgaben der Urbanisten
Unmittelbar im Anschluss an den Wettbewerb wurde von Herzog & de Meuron und Michel Desvigne in enger Zusammenarbeit mit der SPL und der Stadt Lyon ein Bebauungsplan (Plan Local d’Urbanisme, PLU) ausgearbeitet, der 2012 rechtskräftig wurde. Danach standen die Autoren des Masterplans dem Bauherrn weiterhin in beratender Funktion als AMO zur Seite (Assistance au Maître d’Ouvrage, AMO). Sobald Entwickler an einem Îlot Interesse bekundeten oder die Stadt selbst tätig werden wollte, erstellten sie detaillierte Spezifikationen (Cahiers des Charges), welche als Grundlagen für Wettbewerbe oder Projektentwicklungen eines spezifischen Îlots dienten. Vergleichbare Grundlagen wurden für die Infrastruktur des neuen Quartiers (Tramlinien, Brücken, Fernheizzentralen etc.) geschaffen. Seit 2016 haben Herzog & de Meuron und Michel Desvigne weiterhin als Berater in Jurys von Wettbewerben Einsitz und werden im Laufe der städtebaulichen, architektonischen und landschaftsgestalterischen Vertiefung der Projekte von der SPL zur Qualitätskontrolle beigezogen.
Auswahl der Architekten
Im Bebauungsplan und den Cahiers des Charges werden die Grösse der Gebäude, ihre Setzung, die Breite der Strassen, die Verteilung der Nutzungen, aber auch Grundzüge der Gestaltung von Gebäuden und öffentlichem Raum in weitem Masse definiert. Die physische Gestalt des öffentlichen Raums entsteht jedoch erst durch die Umsetzung des Plans in Architektur. Für Lyon Confluence wurde ein Modell entwickelt, Architekten durch eine Kombination von Direktmandaten und Wettbewerben zu bestimmen. Für grössere Îlots wird ein "Chef d’Îlot", ein Architekt mit anerkanntem Leistungsausweis, mit dem Entwurf für ein oder mehrere Gebäude beauftragt. In dieser Funktion übernimmt er die Aufgabe, weitere Architekten zur Auswahl vorzuschlagen, sie, nachdem sie gemeinsam mit der SPL und dem Entwickler bestimmt wurden, zu koordinieren und die Qualität und Kohärenz "seines" Îlots über die ganze Planungs- und Bauzeit hinweg zu kontrollieren. Das Modell erlaubt es, internationale Architektenpersönlichkeiten gemeinsam mit lokalen Architekten aus Lyon und mit Nachwuchstalenten planen und bauen zu lassen. Die besten "Noch-No-Names" werden identifiziert, Architekten, die durch erste Werke oder Projekte in ihren Herkunftsländern oder Studienorten auf sich aufmerksam gemacht haben. Durch die Direktanfrage eines etablierteren Architekten für eine Zusammenarbeit in nächster Nachbarschaft zu diesem, werden sie besonders angespornt. Der "Chef d’Îlot" bringt seine Erfahrung und seine Kenntnisse über die Prozesse für sämtliche Gebäude – seine eigenen wie jene seiner Kollegen – ein, um die Qualität der Architektur des Îlots zu gewährleisten. Für öffentliche Gebäude, einzelne Bauten oder kleinere Îlots werden herkömmliche Architektur-Wettbewerbe durchgeführt.
Îlot A3, Pilotprojekt für Lyon Confluence 2
Die städtebauliche Vision für Lyon Confluence 2 konstituiert sich aus dem Quartier du Marché, einem durchmischten Stadtquartier, der Transversale, einem Boulevard der im Westen und Osten auf Brücken über die zwei Gewässer mündet und dem Champs im Süden, einem Naturraum der bis zur Spitze der Confluence führt. Auf dem Îlot A3, dem Prototypen für das Quartier, wurden unter der Federführung von Herzog & de Meuron neun Häuser von sechs Architekten geplant und gebaut. Die Grundprinzipien des Masterplans manifestieren sich hier zum ersten Mal: die Belebung des Stadtbodens, die Durchmischung von Nutzungen, das Nebeneinander von Bestehendem und Neuem, das Zusammenspiel von Gebäuden verschiedener Grösse, die visuelle Durchlässigkeit, die öffentliche Durchwegung, die Kohärenz des öffentlichen Raums und seiner Bepflanzung und der Anspruch, Einheit in der Vielfalt zu stiften.
Team A3
Für das Pilotprojekt designierte die SPL Herzog & de Meuron als "Chef d’Îlot" und Michel Desvigne als Landschaftsarchitekten. Zur Bestimmung des Entwicklers wurde ein Wettbewerb durchgeführt, in welchem sich potentielle Investoren auf qualitative Faktoren wie detaillierte programmatische Mischung, soziale und energetische Nachhaltigkeit, Miet- und Verkaufspreise sowie Kostenvorgaben für die Gebäude verpflichten mussten, ohne architektonische Entwürfe zu präsentieren. Icade setzte sich in diesem Verfahren als Entwickler durch. Gemeinsam mit der SPL wurden danach aus einer grösseren Anzahl Architekten, die Herzog & de Meuron zur Evaluation vorgeschlagen hatten, vier Büros ausgewählt: Tatiana Bilbao (Mexico City), Christian Kerez (Zürich), Manuel Herz (Basel) und AFAA (Lyon). AFAA nahm, zusätzlich zur Planung und Ausführung von zwei Gebäuden und den Untergeschossen aller Projekte, die Koordination der Baueingabe für das ganze Îlot vor. Didier Dalmas aus Lyon ging als Sieger aus dem öffentlichen Wettbewerb für den Umbau der Halle des ehemaligen Blumenmarkts (Halle aux Fleurs) hervor.
Zusammenarbeit
Planung und Ausführung der neun Häuser waren ein in jeglicher Hinsicht aufwendiger Prozess, der über einen Zeitraum von fünf Jahren von allen Beteiligten auf konstruktive und bereichernde Weise mitgetragen und gestaltet wurde. Die Mitarbeitenden der verschiedenen Architekturbüros unternahmen unzählige Reisen nach Lyon, und manchmal nach Basel, für Koordinations-Workshops, Planungsbesprechungen und Baustellenbesichtigungen mit Vertretern der Stadt, der Bauherrschaft und den Unternehmern. 2015 wurden vor Ort Fassadenmuster aller Gebäude im Massstab 1:1 gleichzeitig gebaut und begutachtet, um deren Verhältnis zueinander gemeinsam abzustimmen. Die gebauten Werke sind stille Zeugen dieses enormen Aufwands: die Gebäude nehmen aufeinander Bezug, subtile Verwandtschaften sind ebenso vorhanden wie anregende Gegensätze.
Einheit in der Vielfalt
Die gestalterischen Vorgaben des Bebauungsplans gehen über die Volumetrie der Gebäude hinaus. Relativ strenge architektonische Leitlinien für die rund einhundert Häuser in Lyon Confluence 2 zielen auf Einheit in der Vielfalt. Sie sollen Architekten und Entwickler gleichermassen dazu anzuregen, die Identität der Gebäude nicht in grossen Gesten, einprägsamen Formen oder schrillen Farben zu suchen, sondern im Umgang mit Gebäudetypologien, Proportionen und in den konstruktiven Details. Die Anlage für Vielfalt im Masterplan besteht zum einen in den sehr unterschiedlichen Massstäben der Häuser, die vom dreigeschossigen Pavillon bis zum "kleinen Hochhaus" mit 17 Stockwerken reichen, und zum anderen im Nebeneinander von bestehenden und neuen Gebäuden. Es ist deshalb vorgegeben, einfache Gebäudekörper zu realisieren. Die Fassaden sind primär in mineralischen Materialien wie Beton, Backstein oder Putz auszuführen, in heller Materialität, wie sie in der Altstadt von Lyon und besonders an der Rhonefront vorherrscht – ein Camaïeux de Blanc. Wie überall, gibt es auch hier Ausnahmen, und sie sind im Fall von Lyon Confluence 2 auch erwünscht, sofern sie dazu beitragen, der Einheit in der Vielfalt eine zusätzliche spezifische Note zu geben. Îlot A3 macht mit einem kleinen Haus mit dunkler Holzverschalung den Auftakt, im Îlot B2 folgt ein Pavillon aus Lehm und im Îlot C1 die Architekturschule in schwarzem Kolorit.
Materialverwandschaften
Sichtbeton in den Fassaden war weder unumstössliche Prämisse noch allgemeine Vorliebe – die Materialverwandtschaft hat sich im Laufe der Planung auf natürliche Art und Weise herauskristallisiert. In der Gesamtbetrachtung aller Projekte schälte sich eine Vielfalt im architektonischen Ausdruck der Gebäude heraus, basierend auf Nutzungen, Wohnungs-Typologien und den Handschriften der Autoren. In die Entscheidung für das einheitliche Material spielte hinein, dass die Baufirma Léon Grosse über grosse Erfahrung im Betonbau verfügt. Die Verantwortlichen liessen sich trotz marktüblichen Budgets und knappem Zeitrahmen auf diese Materialforschung ein und wurden dadurch integraler Teil des Entwurfsteams. Das Spektrum reicht von feinmassstäblichen Holzbretterschalungen bis zu gewölbten Metallgleitschalungen, von Oberflächen-Matrizen bis zu vorgefertigten Fensterlaibungen, von zweischalig gegossenen Betonwänden bis zu vor Ort gestampften Betonstützen.
Das Leben im Freien und die Cour Jardinée
Lyon ist beinahe eine mediterrane Stadt. Die Architekten des Îlots nutzen das Potential des warmen Klimas in unterschiedlicher, aber auch verbindender Weise sowohl für die soziale wie auch die architektonische Dimension ihrer Häuser. Es gibt nicht nur Balkone und Loggien, sondern auch Laubengänge und Aussentreppen. Diese fördern Begegnungen und den Austausch unter den Bewohnern, innerhalb eines Hauses und über den Hof hinweg, zwischen den Häusern. Von den Balkonen und den Aussentreppen aus steht man auch in Verbindung mit den Menschen im Hof unten. Diese spezifischen Elemente an den Häusern stiften architektonische Identität: sie sind rund, mit Holz ausgekleidet, übereinander gestapelt oder zueinander versetzt, zweigeschossig, eingezogen oder auskragend.
Der Innenhof des Îlots A3 schafft eine grüne Kontinuität im Herzen des Quartier du Marché. Die Stringenz der durchweg einheitlich gestalteten Freiräume stellt eines der wichtigen identitätsstiftenden Prinzipien des Bebauungsblocks dar. Die wassergebundene Belagsfläche und die grosse Dichte hochwachsender Bäume sind ganz im Geiste einer Vielzahl öffentlicher Freiräume Lyons. Die bewusst gewählten heimischen Laubbäume filtern das Licht der Sommersonne und garantieren zugleich Sonneneinstrahlung im Winter. Inmitten der dichten Baummasse laden möblierte Lichtungen zum Verweilen ein. Die großzügige Unterpflanzung am Fusse gewisser Bäume und drei längs der Gebäude verlaufende bepflanzte Versickerungsmulden schaffen Zonen grösserer Intimität. Sie reduzieren Einblicke in die Erdgeschosse und schaffen gleichzeitig eine grosszügige Freifläche zur Mitte des Hofes hin. Die Nutzung der Erdgeschosse belebt den Stadtboden.
Nächste Etappen
Zwei weitere Sozialwohnungsbauten und eine der zentralen Parkgaragen sind bereits im Bau. Die nächsten Îlots befinden sich in fortgeschrittener Planung. Für Îlot B2, mit der die Esplanade François Mitterrand vervollständigt wird, gingen aus einem klassischen Investor-Architektenwettbewerb Ogic als Entwickler mit dem Team Diener & Diener (Basel) und Clément Vergély (Lyon) als Sieger hervor. Das dritte Îlot A1/A2 war ein Konkurrenzverfahren, das Bouygues als Entwickler mit David Chipperfield (London) als "Chef d’Îlot" für sich entscheiden konnten. Sie brachten Aires Mateus aus Lissabon und Atelier Vera (Lyon) mit ins Team. In den nächsten fünf Jahren wird mit der Fertigstellung von rund 30 Gebäuden, oder fast einem Drittel des gesamten Quartiers Lyon Confluence 2, gerechnet.